Noch während der großen Sommerferien warteten wir eines Samstags gespannt auf das Eintreffen unseres neuen Familienmitglieds, welches das ganze nächste Schuljahr mit uns zusammen leben würde.

Unser Verwandten- und Bekanntenkreis war skeptisch und der Meinung, dass wir mit unseren eigenen vier Kindern genug um die Ohren hätten. Trotzdem hatte sich unser Familienrat mit fünf zu einer Gegenstimme für die Aufnahme eines Austauschschülers entschieden. Die Wahl fiel auf ein 18-jähriges Mädchen aus Chiang Rai im Norden Thailands. Durch einige Briefwechsel lernten wir Prakaipruk Panich schon ein bisschen kennen, aber am Ankunftstag waren wir trotzdem besonders aufgeregt. Wir wussten nicht, was auf uns zukommt, ob sich auch alle Familienmitglieder und Freunde mit Prakaipruk verstehen würden und ob wir sie gut in unsere Familie und in das Schulleben integrieren könnten. Würde sie sich in unserem kleinen Dorf auf dem Land wohlfühlen, wo sie doch eine Großstadt gewöhnt ist? Im Rückblick sind unsere Vorstellungen im positiven Sinne sogar noch übertroffen worden.

Von Zungenbrechern und missglückten Desserts

Zuallererst fiel uns ein Stein vom Herzen, dass wir uns nicht mit der thailändischen Aussprache ihres Namens auseinandersetzen mussten und sie bei ihrem Spitznamen rufen konnten. Som, wie sie von allen genannt wurde, konnte durch ihren 4-wöchigen Sprachkurs schon ein paar Brocken Deutsch, als sie zu uns kam. Trotzdem lief unsere Verständigung anfänglich auf Englisch mit Wörterbuch in Griffnähe oder mit Händen und Füßen ab.

Aber kaum war der erste Schultag da, gab es ganz viel Deutsch. Staunend berichtete sie über die wenigen Mitschüler in der Schule und in den Klassen. In Thailand hat sie ca. 40 Mitschüler in ihrer Klasse und Schulen können bis zu mehrere tausend Schüler stark sein. Da kamen unsere Kinder dann ins Staunen.

Mit jedem Stück Kultur und deutscher Eigenart, die Som entdeckte, entdeckten wir im gleichen Zug ein Stück Thailand mit. Das war interessant, lehrreich und oft auch sehr lustig, angefangen von missglückten thailändischen Desserts, weil wir nicht die richtigen Zutaten benutzt hatten, bis hin zum Erlernen eines thailändischen Weihnachtsliedes in Originalsprache, was eigentlich ein Neujahrslied ist, da in Thailand ja kein Weihnachten gefeiert wird. Ich möchte nicht wissen, welche Sinnverfremdungen unsere Aussprache ergeben hat, aber wir hatten großen Spaß dabei. Mit Knoten in der Zunge, wegen der ungewohnten Silben, bekamen wir große Achtung vor der Anstrengung, mit der Som unsere deutsche Sprache zu erlernen versuchte.

Als wir sie einmal baten, beim Saugen zu helfen und sie nachfragte, ob sie denn auch das Zimmer ihres Gastvaters saugen dürfte und damit das gemeinsame Elternschlafzimmer meinte, wurde uns die starke Hierarchie in ihrem Heimatland bewusst.

Kurz vor Weihnachten kam Som dann „richtig“ in Deutschland an, denn sie hatte den Mut, zum ersten Mal „Nein“ zu sagen und eine eigene Entscheidung zu treffen. Plötzlich ging auch die ganze Sprache leichter von den Lippen und ihr fröhliches Naturell kam immer mehr zum Vorschein. „Alles probieren“ war ihre Devise, und so stellte sie sich mutig auf Alpinski und auch Schlittschuhe und kombinierte Handkäse mit Schwarzwälder Schinken.

Schwerer Abschied nach einem wunderschönen Jahr

Wir fragten sie zu Beginn des Jahres, was sie denn unbedingt von Deutschland sehen möchte, bevor sie wieder nach Hause fliegt, und wir hätten uns selbst die Antwort geben können: Neuschwanstein. Das passte gut, da wir es selbst noch nicht besucht hatten, und so zogen wir mit unserem Caravan los, ein Stück unseres eigenen Landes mit Som zusammen kennen zu lernen. Eingeschneit auf dem Campingplatz bei Minusgraden hielt sie tapfer aus.

Plötzlich raste das Jahr voran, und es war kaum noch Zeit für all die Pläne, die Som noch hatte. Dann begann schon das große Packen. Man glaubt nicht, was sich in einem Jahr so alles an Erinnerungen ansammeln kann. Mit 30 Kilo Übergepäck und einem Kopf und Herz voll Deutschland trat sie die lange Reise in ihre alte und doch wieder neue Heimat an.

Der Abschied fiel uns allen verdammt schwer, auch unserer großen Tochter, der einen Gegenstimme vom Anfang, denn wir blicken auf ein wunderschönes Jahr zurück und haben Som von Herzen lieb gewonnen.

Gemeinnützige Austauschorganisation sucht Gastfamilien für Austauschschüler

Die gemeinnützige Austauschorganisation Deutsches Youth For Understanding Komitee e.V. (YFU) sucht deutschlandweit Gastfamilien für Austauschschüler aus aller Welt. Die 15- bis 18-jährigen Jugendlichen kommen aus rund 50 Ländern und werden ab August/September 2012 ein Schuljahr in Deutschland verbringen. Sie werden hier zur Schule gehen und durch das Leben in einer Gastfamilie den deutschen Alltag ganz persönlich kennenlernen.

Gastfamilien entdecken im Gegenzug eine andere Kultur im eigenen Zuhause und bereichern ihr Familienleben um ein neues, internationales Mitglied auf Zeit. „Gastfamilien müssen keinen besonderen Luxus oder ein Besichtigungsprogramm bieten“, erläutert Joachim Wullenweber, Leiter des
Gastfamilienprogramms bei YFU. „Es geht vielmehr um die herzliche Aufnahme und die Integration in den Familienalltag.“ Auch spiele es keine Rolle, ob die Familie auf dem Land oder in der Stadt lebe und ob eigene Kinder im Haus leben.

Alle Schüler besitzen bei Ankunft in ihren Gastfamilien mindestens grundlegende Deutschkenntnisse, die sie zum Teil auf einführenden YFU-Seminaren erworben bzw. ausgebaut haben. YFU bereitet sowohl Austauschschüler als auch Gastfamilien auf das gemeinsame Jahr vor und steht auch währenddessen bei Fragen zur Verfügung.

Interessierte erhalten weitere Informationen unter:
Internet: www.yfu.de/gastfamilie
Telefon: 040 227002-0
E-Mail: gastfamilien@yfu.de