Ein ganz normaler Dienstagmorgen auf dem Weg zum Büro. Nichts Böses ahnend steigt man aus der U-Bahn, als der Blick auf ein von Kopf bis Fuß in sandiges Beige gewandtes Wesen fällt und man vor Schreck beinahe den Coffee To Go auf dem Asphalt verteilt. Was zur Hölle ist das? Ein Zirkuskamel auf Freigang? Ein überdimensionaler Mehlwurm?

Bei näherem Hinsehen entpuppt sich das Ungetüm dann doch bloß als trutschiges Tantchen auf dem Weg zum Einkaufen, das seine Lieblingsfarbe ganz offensichtlich gefunden hat. Na gut, im Angesicht von altersbedingtem Sehkraftverlust sei ihr dieser modische Fauxpas verziehen. Trotzdem müssen wir ein ernstes Wörtchen miteinander reden, ihr Fashionistas da draußen. Liebe Mädels, es ist an der Zeit, dass euch klar wird, was die zügellose Liebe zu gewissen Farben anrichten kann!

Viel hilft viel: Ein Motto, das so manche Frau gründlich verinnerlicht hat. Beige, Khaki und Marine, hat sie gehört, sind Farben, die für pure Eleganz stehen. Also springt sie rein in die fleischfarbenen Klamotten, hängt sich als Sahnehäubchen ihr beigefarbenes Täschchen um und verlässt dann als wandelnde Leberwurst das Haus. Zu viel des Guten ist oft, nun ja – zu viel eben. Beige, Khaki und Marine sind in Maßen edel, im Übermaß aber eher eklig. Ja, wir lieben sie heiß und innig für ihre Neutralität, die sie zur hervorragenden Grundlage für jedes Outfit macht. Grundlage, wohlgemerkt. Nicht Hauptbestandteil. Ein marineblauer Bleistiftrock zu grauem Pulli und Killerheels? Yes, Baby! Ein blauer Blazer zu Blue Jeans, Denimhemd und marineblauem Shopper? Bitte nicht! All-Over ist out, eine Nachricht, die noch nicht jede erreicht hat. Unzählige Frauen geben sich Tag für Tag die Überdosis und frönen einem dermaßen neutralen Ganzkörper-Look, dass daneben selbst die Schweiz alt aussieht. Mit fatalen Folgen.

Da hätten wir einmal Mademoiselle Marine. Gehüllt in Dunkelblau vom Kragen bis zu den Knöcheln nutzt sie den modischen Tarnmodus und verschwindet komplett von der Bildfläche. Ob im Supermarkt oder beim Bewerbungsgespräch: Kaum ist unsere Mademoiselle aus der Tür, ist sie auch schon wieder aus der Erinnerung ihrer Mitmenschen gelöscht. Unwissentlich bedient sie sich desselben Tricks, den Nachrichtenstudios anwenden, wenn sie ihre Ansager vor einem dunkelblauen Hintergrund platzieren: Blau springt nicht ins Auge, selbst beim vierten Hinsehen nicht. Blau ist neutral, Blau ist schüchtern. Da Eleganz sich vor allem durch vornehme Zurückhaltung auszeichnet, provoziert gerade das in der Mode seine edle Wirkung. Wie jedes scheue Mauerblümchen braucht aber auch Dunkelblau einen kräftigen Gegenspieler, um nicht gänzlich von seiner Umwelt an die Wand gespielt zu werden. Ohne Konterpart wird Marine in seiner krampfhaften Zurückhaltung einfach unsichtbar. Da können auch die biedere Perlenkette, die kackbraunen Segelschuhe und die (im schlimmsten Fall ebenfalls marineblaue) Le Pliage nicht mehr viel ausrichten.

Die Redaktion ist sich einig: Der Ganzkörper-Beige-Look ist besonders schlimm und sollte von der Gesellschaft dringend stärker geächtet werden. Studien über die Anzahl der unschuldigen Geschöpfe, die beim Anblick einer fanatischen Beige-Liebhaberin vor Schreck einen Herzanfall erlitten haben, gibt es leider noch nicht – es waren aber sicherlich einige. Kein Wunder, denn vor allem bei blassem Teint wirkt die Trägerin im ersten (und zweiten… und manchmal sogar dritten) Moment einfach nackt. Bei aufgeschlosseneren Individuen führt das oft zu folgendem Ablauf: Riesenschock über die verrückte Nackte auf der anderen Straßenseite – Bewunderung ihres Selbstbewusstseins – skeptischer Blick aufs Thermometer auf dem Smartphone – genauer hinsehen – erneuter Schock – und jetzt mit aller Macht das Lachen verkneifen. Hat man nämlich erst einmal erkannt, dass die vermeintlich Nackte sich bloß dem beigen Vergnügen hingibt, ähnelt sie nur noch einem ungewöhnlich großen Mehlwurm. Als Faschingsverkleidung ist das vielleicht sogar ganz lustig (Motto: Ungeziefer, das niemand braucht), aber jeden Tag? Neeeeee.

Unter unseren drei Varianten ist der Khaki-All-Over-Look noch am ehesten zu verzeihen. Zumindest macht er uns nicht nackig und lässt auch niemanden in vollkommener Neutralität verschwinden. Stattdessen schwingt Khaki die magische Liane und verwandelt seine Trägerin in eine kompetente Dschungelforscherin, die gerade von einer Expedition aus dem Urwald zurückgekehrt ist. Während man im Kopf die Titelmelodie von Indiana Jones vor sich hin summt, möchte man der Khaki-Liebhaberin zu ihrem Mut und der Neugier eines Forschers gratulieren. Dann überwiegt aber die Angst, ihr zu nahe zu kommen: Wer weiß, welche ansteckenden Tropenkrankheiten sie aus der Ferne mitgebracht hat? Schwüles Sommerwetter und anhaltender Regen verstärken die Illusion noch. Und Moment mal: Was zur Hölle sollen die unpraktischen High Heels und wo sind eigentlich Fernglas und Tropenhut geblieben?

Liebe Mädels,
Marine, Beige und Khaki sind drei so wunderschöne Farben, also hört bitte nicht auf, sie zu tragen! Denkt beim Anziehen einfach ein bisschen an uns und stibitzt auch mal in anderen Farbtöpfen, dann kann nichts mehr schiefgehen
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