Auf dem Weg zu Bildung müssen in vielen Regionen der Welt ungeahnte Hindernisse überwunden werden. Besonders Mädchen haben häufig keine Möglichkeit, länger als ein paar Jahre eine Schule zu besuchen.Der Film GIRL RISING erzählt Geschichten von neun Mädchen, die für ihr Recht auf Schulbildung kämpfen. Die Förderung von Mädchen und der Kampf für eine sichere Basisbildung nehmen mittlerweile einen hohen Stellenwert bei vielen Hilfsorganisationen ein. Im Rahmen der Deutschland-Premiere des Films im Hamburger ABATON-Kino hat Alice Behrendt von der internationalen Kinderhilfsorganisation PLAN INTERNATIONAL mit amicella über die Bedeutung einer sicheren Basisbildung und ihre Arbeit in Westafrika gesprochen.

Interview: Alexandra Bersch

amicella: In den USA war GIRL RISING ein großer Erfolg. Wie haben die Menschen in den Heimatländern der portraitierten Mädchen den Film aufgenommen? Gab es dort eine Resonanz in den Medien?

Alice Behrendt: Dort wo ich arbeite - in West- und Zentralafrika - ist von dem Film bisher nichts angekommen. Was aber auch damit zu tun hat, dass die Kinokultur sehr wenig entwickelt ist. Wenn überhaupt werden auf den Festivals Filme gezeigt, die auf dem Kontinent selbst produziert wurden. In den Kinos, die jetzt vor Ort sind, laufen hauptsächlich Filme aus Nigeria.

Veränderungen zu bewirken ist nicht leicht. Ist Bildung, wenn man sie zum Beispiel mit der Problematik von Beschneidung oder Zwangsheirat vergleicht, möglicherweise das am wenigsten sensible Thema, mit dem man am ehesten an die Menschen herantreten kann?

Ja, Bildung ist ein relativ leichtes Einstiegsthema. Man sieht große Erfolge dabei, die Mädchen in jungem Alter in die Schule zu bekommen. Aber die Herausforderung liegt nun darin, sie auch dort zu halten. Damit sie zur Oberschule kommen. Bei PLAN versuchen wir voranzutreiben, dass Mädchen tatsächlich neun Jahre Bildung, die Basisbildung, abschließen können. Aber bis dahin ist es noch ein weiter Weg.
Wenn wir mit Eltern in den Gemeinden arbeiten ist es schon ein sehr sensibles Thema, weil viele damit Risiken in Verbindung bringen. Die Eltern haben Angst und wollen natürlich verhindern, dass eine Tochter auf dem Schulweg geschwängert wird, entehrt wird. Andere fürchten, dass die Mädchen in der Schule mit Werten in Verbindung kommen, die sie selbst nicht vertreten und sich von ihnen nicht mehr kontrollieren lassen. Das macht es schwierig, die Mädchen in der Schule zu halten.

Was genau ist bei der Umsetzung, Mädchen diese neun Jahre Basisbildung zu verschaffen das größte Hindernis? Und welche Rolle spielt die Angst der Eltern, dass dies finanziell nicht realisierbar ist?

Von Land zu Land gibt es unterschiedliche Faktoren, ein großer davon ist der Kostenfaktor. Schule - gerade Grundschule - sollte kostenlos sein. Das ist sie aber nach wie vor nicht. Es kommen unheimlich viele Gebühren auf die Eltern zu – schon dadurch dass ein Kind zum Beispiel drei Uniformen haben muss, die jedes Jahr neu gekauft werden. Viele Eltern haben dieses Geld einfach nicht und stolpern schon über die finanzielle Hürde. Es werden Examensgebühren erhoben. Sie geben den Vorzug dann eher den Jungen und halten die Mädchen zu Hause. Mit dem Hintergrund, dass der Junge, wenn er zur Schule geht, später wieder in die Familie investieren wird. Die Eltern denken sich: „Wenn wir das Mädchen bilden wird es verheiratet und investiert das in eine fremde Familie, davon haben wir weniger.“ Also wird der Vorzug den Jungen gegeben. Und dazu kommt auch noch: Regierungen tun zu wenig, um Bildung für Mädchen sicher zu machen. Es wird in dem Moment schwierig, wenn Mädchen älter werden, wenn sie in die Pubertät kommen. Häufig sind die Schulen dann einfach nicht mehr sicher, es gibt zu viel Gewalt, der Schulweg ist zu weit, es gibt dort keine vernünftigen Toiletten. Die Mädchen wissen zum Beispiel wenn sie ihre Menstruation haben gar nicht, wie sie sich in der Schule während des Tages versorgen können. Das alles sind große Hindernisse. Das mangelnde Engagement der Regierungen, die Schulen kostenfrei zu halten in Verbindung mit traditionellen Werten, die besagen, dass Mädchenbildung den Familien nichts bringt – dies sind die Faktoren die dafür sorgen, dass viele Mädchen nach wenigen Jahren die Schule verlassen müssen. Das sind die starken Positionen, gegen die wir kämpfen.

Der Film GIRL RISING zeigt Mädchen, die sich erfolgreich gegen ihre Lebensumstände aufgelehnt und auf ihr Recht auf Schulbildung bestanden haben. Von einem dieser Mädchen - Amina aus Afghanistan - ist nicht bekannt, was nach dem Film mit ihr geschah. Wie groß ist die Gefahr für die Mädchen, die sich öffentlich über Missstände äußern?

Das ist von Land zu Land unterschiedlich. Es ist wichtig, immer genau auf den Kontext zu schauen und vorher zu fragen: Wo kommt das Mädchen her? Worum geht es? Wen spricht der Film an? Wie wird die Thematik in der Gemeinde gehandhabt und wie reagiert diese, wenn man etwas öffentlich macht? Wenn sich ein Mädchen zum Beispiel in Ländern wie Sierra Leone oder dem Senegal für Bildung oder gegen frühe Heirat ausspricht, ist ein besonderer Schutz in der Regel nicht notwendig. In einem Kontext wie Afghanistan oder Ägypten muss man jedoch sehr vorsichtig sein, gerade wenn es um sexuelle Gewalt geht. Für eine Kinderrechtsorganisation wie PLAN ist es bei sensiblen Themen – deren Veröffentlichung den Mädchen in irgendeiner Form schaden könnten - sehr wichtig, nie das Gesicht zu zeigen. Auch die Stimme kann verzerrt werden, um sicherzustellen, dass dem Kind nichts passiert. Wichtig werden solche Maßnahmen zum Beispiel dann, wenn es um Kinderheirat oder Genitalbeschneidung geht. In einigen Gebieten aber auch schon, wenn das Mädchen sich gegen die Familie aufgelehnt hat.

Müsst ihr als Mitarbeiter der Organisation Angst um euer Leben haben?

Auch hier kommt es wieder auf das Land an. In Westafrika sind wir gerade sehr von der großen Krise in Mali betroffen. Dort ist es momentan so, dass wir in bestimmte Gebiete einfach nicht mehr reisen können – wegen der Entführungsgefahr, die ganz gezielt weiße Hilfsarbeiter trifft. Da hat sich viel geändert. Es gibt mehr terroristische Anschläge, gerade auch, wenn man sich für Themen einsetzt, die Mädchen betreffen. Aber ich würde auch hier wieder sagen, es kommt sehr auf den Kontext an. In Afghanistan oder jetzt auch in Ägypten oder Pakistan muss man sehr viel vorsichtiger sein. In Pakistan sind schon Mitarbeiter von PLAN ums Leben gekommen, die sich für Mädchenbildung eingesetzt haben. Das heißt, es ist je nach Land sehr unterschiedlich. Aber in den meisten Ländern arbeiten sowohl die Bevölkerung als auch die Regierung mit uns Hand in Hand bei den Bemühungen, die Mädchen in die Schulen zu bekommen und auch dort zu halten.

Gibt es ein Land oder eine Region in Westafrika, in der Schulbildung von Kindern, insbesondere Mädchen, einen verhältnismäßig hohen Stellenwert hat? Vor allem höhere Schulbildung und vielleicht der Besuch einer Universität?

Ich glaube das Land in Westafrika, in dem der größte Fortschritt zu sehen ist, ist Ghana. Gefolgt vom Senegal. Das sind Länder, in denen wir wirklich in den Oberschulen immer mehr Mädchen sehen, die auch Abitur machen. Die große Herausforderung ist nach wie vor der ländliche Bereich. In den Städten sind unheimlich große Fortschritte zu verzeichnen. Man sieht an den Universitäten inzwischen viele Mädchen – da hat sich einiges getan. In diesen Ländern sieht man auch sehr schön, dass jetzt sehr viele Rollenbilder, positive Rollenbilder von Mädchen zu finden sind. Und das macht es im ländlichen Bereich so viel einfacher, es den Eltern zu erklären: „Sieh mal, was dieses Mädchen geschafft hat und was es damit für die Familie bewirken konnte. Und wie sie jetzt ihr Leben regeln kann, wie viel einfacher es für sie ist, mit ihrem Mann klar zu kommen, weil sie ihr Geld viel besser kontrollieren kann.“ Es ist einfacher in Ländern, in denen es schon eine große Menge von Mädchen geschafft hat, die Oberschule zu durchstehen und die Uni zu durchlaufen, ohne schwanger zu werden, sodass man den Eltern diese Rollenbilder zeigen kann.

Seid es denn hauptsächlich ihr, die diese Botschaft von den Städten aufs Land tragen, oder gibt es auch sonst einen Austausch, durch den die Landbevölkerung sieht, was sich in der Stadt verändert hat?

Alice Behrendt: Es gibt beides, denke ich. PLAN arbeitet ja mit sehr vielen anderen Nichtregierungsorganisationen zusammen und auch mit der UN und natürlich mit den Länderregierungen selbst. Das Gute ist, dass es immer mehr wird. Erst sieht man Veränderungen in den ländlichen Gebieten, die näher an der Hauptstadt liegen. Dann in den Dörfern die dichter an anderen Städten liegen. Es gibt kein Land, in dem nicht jetzt schon ein wichtiger Anteil an Mädchen es zur Uni geschafft hat. Und dieser Anteil von Mädchen ist quasi die kritische Masse. Diese nutzen wir um damit zu überzeugen, was aus Mädchen alles werden kann.

Ändert sich das Bewusstsein der jüngeren Generation in Westafrika, was die rituelle Bescheidung von Frauen, Kinderarbeit, Schulbildung und allgemein die Aspekte eurer Arbeit angeht?

Ja und nein. Im ländlichen Bereich noch sehr langsam – gerade in Gebieten ohne fließend Wasser und Strom. Aber in Städten geht die Veränderung glaube ich häufig schneller voran, als die Generationen es verkraften können. Teilweise so schnell, dass es richtige Konflikte zwischen den Generationen herbeischafft. Man hat eine Mutter, die weder lesen noch schreiben kann und eine Tochter, die ständig SMS schickt und an ihrem Computer Sachen macht. Die Mutter kann gar nicht mehr verstehen, was ihre Tochter da überhaupt macht.

In einem Interview vor ein paar Jahren hast du erzählt, dass ihr mit Hilfe von Einheimischen versucht, ausgegrenzte Kinder (wie z.B. Kriegswaisen, die jahrelang auf der Straße leben mussten) mit „Reinigungs-Ritualen“ wieder in die Gemeinschaft zu integrieren. Oder dass ihr gewaltfreie Alternativen zur Beschneidung von Mädchen als Einführung in die Gesellschaft vorstellt. Wie laufen solche alternativen Rituale ab?

Bei 90 Prozent aller Projekte, würde ich sagen, arbeitet PLAN vor Ort durch lokale Partner. Das heißt, PLAN geht nicht selbst in die Dörfer, sondern wir helfen der lokalen Zivilgesellschaft vor Ort, das umzusetzen, was sie machen wollen, um ihre Gemeinde aufzubauen. Gerade bei einem Thema wie der weiblichen Genitalverstümmelung ist es wichtig, dass das lokale Wissen genutzt wird. Nur so hören die Leute wirklich zu. In Guinea zum Beispiel arbeiten wir mit einer Organisation, die das klassische Initiationsritual durch ein alternatives Ritual ersetzt hat. Es wurde quasi zeitlich angepasst, findet aber nach wie vor im Urwald statt und zwar in Begleitung einer traditionellen Hüterin, der ursprünglichen Beschneiderin, die dabei ist und ihr Wissen teilt. Sie erzählt den Mädchen dann, was früher dort passiert ist. Bestimmte Elemente der Initiation – wie das Tanzen, das Schminken der Gesichter, die Erklärung dessen, was während der Heirat passiert und was von einer Ehefrau erwartet wird - wurden beibehalten, allerdings im Kontext der Menschenrechte etwas umgeändert. Die Mädchen lernen zum Beispiel auch, sich vor HIV zu schützen und werden über Verhütung aufgeklärt. Es wurden also neue Bestandteile hinzugefügt und einige ältere Elemente, die für Mädchen eher schädlich sind, wurden herausgenommen.

Und die Menschen nehmen das so an?

Nicht alle nehmen es an – aber immer mehr. Die Organisation hat sogar mehr Nachfragen als sie bedienen kann. So ein Ritual zu organisieren ist natürlich mit Kosten verbunden, alles muss gut vorbereitet werden. Jedes Mädchen, das durch ein Alternativritual geht, wird danach auch weiter begleitet, um sicherzustellen, dass es bis zur Heirat wirklich nicht beschnitten wird. Und inzwischen sind es um die 1000 Mädchen.

Sind denn, was die Eltern angeht, Frauen leichter zu überzeugen von neuen Ideen?

Das ist ganz unterschiedlich. Jüngere ungebildete Frauen können schwer zugänglich sein, es hängt auch immer sehr davon ab, wo die Gemeinde liegt. In Städten ist es generell leichter, Leute für neue Ideen zu gewinnen. Im ländlichen Bereich hängt es immer sehr davon ab, wie viel Information bereits über Radio oder andere Medien aufgenommen wurde. Und wie viel die Leute sich schon geöffnet haben. Manchmal kann es in ländlichen Gemeinden jedoch auch leichter sein, weil die Menschen dort viel besser organisiert sind. Ob die jüngeren Frauen oder die älteren Frauen leichter zu überzeugen sind, ist meiner Meinung nach schwer zu sagen. Generell sind die jüngeren Männer die offenste Zielgruppe für alles. Sie bewegen sich viel, es ist die mobilste Gruppe. Sie kommen häufig raus aus ihren Gemeinden und hören dadurch von vielen neuen Dingen. Mit ihnen kann man am leichtesten arbeiten. Bei den Frauen muss man immer auch sehen, wie viel Bildung sie haben. An dieser Stelle merkt man wirklich sehr, wie wichtig Bildung ist. Information muss an diejenigen die nicht in der Schule waren - oder nur drei, vier Jahre Bildung haben - in ganz anderer Art und Weise herangetragen werden. Man muss anders erzählen und auch das Material, das man nutzt, ganz anders aufbereiten. Das macht einen sehr großen Unterschied.

Wie findet man Mädchen, die eine Geschichte wie im Film GIRL RISING erzählen können und wollen?

Wie genau es bei GIRL RISING gelaufen ist, kann ich nicht sagen. Ich weiß nur, wie wir häufig arbeiten. PLAN unterstützt sehr viele Kinderclubs und häufig fragen wir einfach dort an, ob sie jemanden empfehlen können, der zu bestimmten Themen etwas erzählen würde. Kinder wissen immer, wo die anderen Kinder sind. Egal zu welchem Thema, es ist nie ein Problem, Kinder zu finden, die etwas zu erzählen haben. Meine Erfahrung ist: Geht es bei Forschungen um Kinder, fragt die Kinder.

Ihr bietet auch psychosoziale Betreuung für die Kinder vor Ort an, die schwere Traumata erlebt haben wie Krieg, Aids oder Beschneidung. Wie kann man sich diese Betreuung vorstellen? Was macht ihr, um diese Kinder wieder in ein normales Leben zu integrieren?

Bei psychosozialer Unterstützung kommt es sehr darauf an, in welchem Kontext wir arbeiten. Wir haben Projekte, bei denen es wirklich darum geht, schwer traumatisierte Kinder individuell zu begleiten. Wir arbeiten mit Einheiten von lokalen Councellors, die Kinder in den Gemeinden identifizieren, eine richtige Therapie entwickeln und die Kinder danach wieder sozial eingliedern – in eine Ausbildung oder die Schule. Das ist dann eine sechs Monate lange Begleitung. Aber in vielen Fällen geht es auch um Gruppenbetreuung. Zum Beispiel haben wir in Mali „Child Friendly Spaces“ für Kinder, die nach der Flucht zu uns kommen. Es gibt sie auch direkt in den Flüchtlingscamps der Nachbarländer, erst einmal kommen die Kinder dort hin und können Kind sein, wo sie Spiele zur Verfügung haben, wo jemand zum Reden ist, wo der Raum einfach sicher ist und wo sie jeden Tag hingehen und sich austoben können. In diesen Bereichen wiederum schauen wir dann nach Kindern, die mehr Unterstützung brauchen. Wenn wir zum Beispiel sehen, dass ein Kind gar nicht mehr spricht, dass es immer außerhalb der Gruppe ist und nie irgendetwas mitmacht, wenn das Kind eine Behinderung entwickelt hat, die es daran hindert, mit anderen Kindern zu spielen oder es zum Beispiel mit 12 Jahren noch in die Hose macht, dann wird es individuell begleitet. Und das läuft immer über lokale einheimische Counsellors, die dazu weitergebildet werden, dass sie mit diesen Kindern und den Familien arbeiten. Sie sorgen dafür, dass diese Kinder, wenn sie nicht in der Schule sind, wieder in die Schule kommen oder ein Ausbildungsprogramm anfangen. Je nachdem, was für das Kind das Richtige ist. Wir haben da sehr unterschiedliche Profile. Häufig ist es für ein Kind auch nicht mehr das Richtige, in die Schule zu gehen, sondern es braucht eine Ausbildung. Bei mentalen Behinderungen muss geprüft werden, was für eine Art Arbeit das Kind lernen könnte, wo man es noch eingliedern könnte. Wenn es um richtig schwere Behinderungen geht ist die Frage, wie das Kind in der Gemeinde seinen Platz finden kann. Die Maßnahmen sind also je nach Fall unterschiedlich und werden den Bedürfnissen und Möglichkeiten eines Kindes angepasst.

Hast du manchmal das Gefühl, du kämpfst gegen Windmühlen?

Ja. Besonders wenn wieder eine große Katastrophe oder Überflutung kommt, die eine gerade gebaute Schule wieder wegschwemmt und wo es dann plötzlich darum geht, Katastrophenvorsorge zu leisten. Im Fall von Mali haben Unruhen, der Militärputsch und die Übernahme der terroristischen Einheit das ganze Land zerbrochen. Es ist sehr, sehr traurig zu sehen, um wie viele Jahre das Gemeinden zurückwerfen kann. Und damit auch die Arbeit, die wir dort gemacht haben. Wir fangen in vielen Fällen wieder von vorne an. In Kriegsgebieten - wo viele Frauen und Mädchen vergewaltigt wurden -  geht es häufig auch darum, dass Familien sich wiederfinden müssen, dass sie lernen müssen, wieder zu vertrauen. Wenn man Länder, die jetzt zehn Jahre im Bürgerkrieg waren mit einem Land wie Ghana vergleicht, wo es schon länger friedlich ist, sind das riesengroße Unterschiede. Schon in der Art und Weise, wie die Kinder sich ausdrücken und wie sie Vertrauen fassen können. Natürlich sind die Rückschläge häufig deprimierend. Aber gerade wenn man mit Kindern arbeitet - das ist auch das, was der Film GIRL RISING so toll illustriert – sieht man, dass Kinder solch eine große Kraft haben sich wieder aufzurichten und selbst mit ganz wenig unheimlich viel schaffen können. Das habe ich vor Ort viel erlebt. Auch mit Mädchen, die wirklich furchtbare Sachen erlebt haben, die wir uns gar nicht vorstellen können. Wie diese Mädchen es schaffen, ihr Leben anzupacken und dann ganz tolle Mütter und Kleinunternehmer zu werden – das ist unglaublich! Es ist immer ein Vor und Zurück. Aber ich würde sagen, dadurch dass wir mit Kindern arbeiten, wo so viel Energie und Ressourcen vorhanden sind, überwiegt das Positive.

Im Moment leite ich die Abteilung für Monitoring, Evaluation und Research. Also alles, was Projektkontrolle, Evaluierung und Forschung betrifft. Die psychosoziale Arbeit habe ich hauptsächlich von 2005 bis 2009 gemacht und jetzt mache ich sehr themenübergreifende Arbeit. Das heißt es geht von Bildung bis zu Mikrofinanz, zu Wasser und Sanierung, zu Gesundheit, zu Kinderschutz zu psychosozialer Arbeit. Das Schöne ist, dass man sieht, wie diese Themen ineinander greifen – dass zum Beispiel Frauen, deren Kinder psychosoziale Unterstützung bekommen auch Mikrofinanzen erhalten. Dann kommen die Kinder in die Schule, was wiederum andere Kinder in die Schulen bringt. Man sieht, dass diese Kinder dann gegen HIV mobilisieren. Auch wenn man im Bereich Evaluierung arbeitet sieht man, wie diese ganzen Gebiete ineinander greifen und was Projekte tatsächlich bewirkt haben. Das finde ich bei meiner jetzigen Betätigung, sehr schön.

Du bist ja 2005 das erste Mal nach Afrika gegangen...

Ich habe 2005 angefangen, für PLAN in Afrika zu arbeiten aber dort vorher auch schon meine Diplomarbeit geschrieben und mit Universitäten und lokalen Organisationen zusammen gearbeitet.

Wusstest du, was dich in Afrika erwartet?

Als ich mit PLAN anfing auf jeden Fall, als ich das erste Mal hinging natürlich eher weniger. Da war eher das Backpacker-Knowledge vorhanden. Ich würde aber sagen, ich habe in Westafrika mein erstes Praktikum gemacht und mir nie vorgenommen, dort zu bleiben. Bin aber immer wieder zurückgekommen. Es war irgendwie mehr oder weniger Zufall, dass der Kontinent mich doch von Anfang an so angezogen hat.

Was würdest du jemandem raten, der darüber nachdenkt, für eine Organisation wie PLAN im Ausland zu arbeiten?

Ich würde ihm raten, erst einmal vor Ort zu leben und zu sehen, ob er sich das vorstellen kann. Ob ihm die Kultur liegt und die Art und Weise, wie die Leute vor Ort sind und kommunizieren. Nur um Gutes zu tun, würde ich es keinem empfehlen, da kann man es eventuell hier vor Ort besser machen. Westafrika hat eine vibrierende, lebendige Kultur mit einer Kommunikation, die sehr viel direkter ist. Bevor man dort zur Arbeit kommt hat man mit viel mehr Menschen gesprochen als hier während eines ganzen Tages. Man muss das mögen. Man muss auch die Verhandlungskultur mögen. Und ich denke, das sollte man ausprobieren, bevor man sich auf solch einen Job einlässt. Man sollte auch sehen ob man die Bereitschaft hat, begleitend mit Kindern zusammenzuarbeiten und anders zu denken. Dieses deutsche direkte Denken: „So hat das zu sein“, funktioniert oft nicht.