Angefangen hat alles 1979 mit dem bundesweit ersten Oma-Hilfsdienst, für dessen Gründung Beate Schmidt schon von zwei Bundespräsidenten geehrt wurde. Das Konzept: Kinderfreundliche Senioren unterstützen Familien, kümmern sich um die Kinder, wenn die Kita zu oder das Kind krank ist, wenn die Tagesmutter ausfällt, wenn berufliche Verpflichtungen mit den Arbeitszeiten der Kinderbetreuung kollidieren – oder wenn die Eltern einfach mal Zeit für sich brauchen.

amicella.de hat mit Renate Detloff über ihre Tätigkeit als Leih-Oma gesprochen:

Sie waren die letzten Jahre vor dem Ruhestand Vertriebsleiterin eines internationalen Unternehmens. Wie sind Sie überhaupt auf die Idee gekommen, sich bei „Jung & Alt e.V.“ zu engagieren?
Ich selbst bin alleinerziehend gewesen, nachdem ich meinen ersten Mann, der gewalttätig war, verlassen musste. Alleine mit zwei Kindern war es ganz schön schwer. Die Eltern meines Ex-Mannes hatten sich nach der Scheidung entfernt und meine Eltern waren einfach zu alt, um mir mit den Kindern unter die Arme greifen zu können. Ich war dann mit 64 so weit, dass ich in Rente gehen wollte und habe mir überlegt, was ich mit meiner neuen freien Zeit anfangen könnte. Eigene Enkelkinder habe ich nicht. Ich bin dann zu Veranstaltungen gegangen – zum Beispiel Messen wie „Du und deine Welt“ und „Aktivoli“. An der Idee von „Jung & Alt“ gefällt mir, dass man den Kindern ein bisschen Liebe geben kann, Spaß und Freude mit ihnen hat und dabei auch die Eltern entlastet. Sie sind schließlich auch nur Menschen und brauchen mal Zeit für sich. Ist ja auch für die Kinder wichtig, dass die Beziehung der Eltern funktioniert.

Wie viele Kinder betreuen Sie zur Zeit?
Sechs, zwei davon Geschwister. Insgesamt habe ich schon in etwa 30 Familien geholfen, ich schreibe mir das immer genau auf.

Übernehmen Sie nur die Kinderbetreuung oder machen Sie auch Sachen im Haushalt, wie kleinere Einkäufe oder Bügeln und Ähnliches?
Wenn ich die Kinder von der Kita oder der Schule abhole, dann kochen wir schon mal zusammen, die Eltern haben dann meist etwas vorbereitet. Aber Haushaltsarbeiten mache ich nicht. Das sollen die Leute anders organisieren. Unsere Aufgabe ist es, für die Kinder da zu sein. Natürlich wasche ich ab, wenn die Kinder gegessen haben, es ist ja wichtig, dass die Kinder mitkriegen, dass so etwas sein muss. Bevor die Eltern nach Hause kommen, räumen wir auch auf, damit Mama und Papa sich freuen.

Ist es schon mal vorgekommen, dass Sie sich von einer Familie getrennt haben, weil sie mit dem Kind oder den Eltern überhaupt nicht klarkamen?
Ich bin eine Frau, die stellt gewisse Regeln auf, an die man sich im Umgang miteinander halten muss, das ist mir wichtig. Und es gibt Familien, die erziehen ihre Kinder total anti-autoritär, die dürfen alles machen. Ich akzeptiere das, komme aber nicht gut damit klar. Ich hatte mal eine Familie, da durfte ich dem Kind nicht sagen, dass es etwas nicht machen darf.  Da habe ich mit den Eltern gesprochen, sie mögen sich bitte wieder an den Verein wenden. Es gibt unter den Ehrenamtlichen ältere Leute, die gut mit so etwas umgehen können, das weiß ich auch. So haben wir das dann gelöst. Mit dem Kind kam ich gut klar, aber eben nicht mit den Erziehungsmethoden der Eltern. Wenn ich den Auftrag habe, etwas zu tun, dann müssen sich beide an Regeln halten. Ich will dem Kind ja nichts böses – aber später im Leben muss es ja auch irgendwie mit anderen Leuten klarkommen.

Sie sagten vorhin, Sie seien schon in 30 Familien gewesen. Gab es auch Trennungsschmerz, wenn Sie eine Familie verlassen mussten?
Oh ja. Ich habe mal längere Zeit zwei Mädchen hier in der Nähe betreut, zu denen ich eine richtig gute Beziehung aufgebaut hatte. Die Großmutter war krank geworden und konnte das nicht mehr machen. Irgendwann ist sie aber wieder gesund geworden und dann hat sie die Betreuung ihrer Enkel wieder selbst übernommen. Das ist natürlich eine sehr schöne Sache, aber der Abschiedsschmerz war für mich und die Familie unglaublich groß. Und neulich habe ich einen Brief von einem der Mädchen bekommen, dass sie jetzt aufs Gymnasium geht und das mich das ja sicher interessiert. Unglaublich süß. Sowas freut einen richtig.

Kommt es oft vor, dass sie in Notfällen einspringen müssen?
Das kommt relativ oft vor. Gerade eben habe ich eine Email von Max' Mama bekommen. Er ist vier und ein ganz liebes Kind. Sie schreibt, dass ihr Sohn mal wieder sehr begeistert war von unserem gemeinsamen Nachmittag und fragt, ob ich nächste Woche Dienstag und Freitag auf ihn aufpassen könnte, weil Sie beruflich nach Frankfurt muss. Am Dienstag ist es kein Problem, wegen Freitag muss ich es erst mit meinem Mann besprechen. Eventuell muss ich ihn dann mitnehmen zu unserem Boot – mein Mann und ich sind beide Segler. Aber irgendwie werden wir da schon eine Lösung finden.

Sie erwähnen Ihren Mann – macht er auch mal mit bei der Kinderbetreuung?
Eigentlich nicht. Er hat seinen eigenen Kram. Aber er unterstützt mein Engagement, weil er sieht, wie viel Freude es den Kindern und auch mir bereitet. Und manchmal, wenn ich eigentlich etwas mit ihm unternehmen wollte, aber ein Notfall in Haus schneit, sagt er auch: „Da musst du hin, Renate.“ und tritt dann also zurück.

Für Kinder ist eine gewisse Routine – vor Allem im Umgang mit der Familie und Betreuungspersonen – sehr wichtig. Wenn Sie regelmäßig mit einem Kind zu tun haben, wie lange dauert es, bis es sich an sie gewöhnt hat?
Ach, das geht ganz schnell. Einen Tag – und beim nächsten Mal erkennt es dich schon. Man spürt ja auch, wie das Kind drauf ist und kann darauf eingehen.

Aber es gibt ja auch Kinder, die lassen sich überhaupt nicht auf Fremde ein...
Schon, aber irgendwo hat man da ja auch Erfahrung und weiß, wie man dem begegnen muss. Ich kenne es auch, dass manche Kinder einfach nicht mit einem sprechen. Heute zum Beispiel gehe ich zu Niklas, der ist acht und spricht überhaupt nicht mit mir, wenn ich ihn vom Hort abhole. Ich sage dann, dass ich da bin und er macht seine Arbeit zu Ende, zieht sich an und wir gehen los. Ohne ein Wort. Es kann schon mal eine Viertelstunde vergehen, bis er etwas zu mir sagt. Ich weiß eben, dass ich ihn in Ruhe lassen und von selbst auf mich zukommen lassen muss, obwohl ich eigentlich großen Wert auf Höflichkeit und wenigstens ein „Guten Tag“ lege. Manchmal funktioniert es aber nur so.

Im Angebot von „Jung & Alt e.V.“ steht, dass man sein Kind nicht nur unter der Woche und am Wochenende, sondern auch mal über Nacht betreuen lassen kann – machen Sie das auch?
Ich biete Betreuungszeiten von Montags bis Freitags an. Ich bin ja auch verheiratet und habe meine Hobbys. Die Zeit, die ich abseits meines Privatlebens habe, gebe ich gerne den Kindern. Nachts mache ich es nicht so gerne, aber wenn gar keine andere Möglichkeit besteht und ich das Kind gut kenne, dann würde ich es natürlich auch mal über Nacht zu mir nehmen. Aber eigentlich besteht da keine Notwendigkeit, denn wir sind so viele Ehrenamtliche, dass der Bedarf nach jeder Zeit abgedeckt ist.

Was unternehmen Sie mit den Kindern, wenn Sie mit ihnen zusammen sind?
Was Kinder halt gerne machen. Wir gehen auf den Spielplatz, machen ein Picknick im Park oder spielen einfach. Wir machen auch schon mal eine Bootstour mit dem HVV oder bei schlechtem Wetter eine Stadtrundfahrt mit dem Bus. Bei Kindern, die schon zur Schule gehen, schaue ich auch mal über die Hausaufgaben.

Der Verein bietet auch eine Notfallüberbrückung von bis zu drei Wochen am Stück an – hatten sie mal einen solchen Einsatz?
Noch nicht. Meistens regeln das die Eltern dann doch irgendwie anders. Ganz oft gibt es aber einfach Tage dazwischen, an denen ich gebraucht werde. Letzte Woche zum Beispiel hatte Max Ohrenschmerzen und konnte nicht in die Kita – da bin ich dann hin. Ein krankes Kind ist natürlich anstrengender, schreit, dass die Mama kommen soll und ist auch sonst quakig und schlecht drauf. Es tut mir ja auch weh, wenn die Kinder leiden und Schmerzen haben. Ich lasse es dann ein bisschen jammern und  und dann nehme ich es auf den Schoß, wir kuscheln und ich sage: „Mama ist die Allerliebste und Papa auch. Aber wir haben uns ja auch lieb.“ Wir machen das schon – wenn es Schwierigkeiten gibt, werden die einfach gelöst.

Gibt es Treffen der Ehrenamtlichen von „Jung & Alt e.V.“, bei denen Sie sich mit anderen Leih-Großeltern über Ihre Erfahrungen austauschen können?
Oh ja, wir sind da sehr gut organisiert. Mindestens alle zwei Monate gibt es Gesprächscafés. Oder einen Stammtisch in einer Kneipe. Wir machen auch manchmal Ausflüge zusammen. Museumsbesichtigungen oder so, demnächst geht es irgendwo ins Alte Land. Die Aufgabe, Kinder zu betreuen ist ganz schön fordernd und es ist sehr wichtig, dass man sich untereinander austauschen, sich Tipps geben kann. Wie geht man zum Beispiel mit einem bockigen Vierjährigen um, der schreit und gegen alles ist. Neben dem obligatorischen Erste-Hilfe-für-Kinder-Kurs werden auch weitere Schulungen angeboten. Da sitzen wir dann mehrere Nachmittage mit einem Pastor und Psychologen zusammen und besprechen Dinge, die aktuell wichtig sind – wie eben die Trotz-Sache. Es wird der richtige Umgang in solchen Situation gelehrt.

Jeder Ehrenamtliche, der sich im Verein als Leih-Oma oder -Opa engagieren will, muss neben einem polizeilichen Führungszeugnis auch ein ärztliches Attest vorlegen. Müssen Sie dieses in regelmäßigen Abständen aktualisieren, damit die Eltern sicher gehen können, dass sie körperlich fit sind?
Nein, das könnte man machen, aber eigentlich reguliert sich das von allein. Bei uns wird es schon bei der Vermittlung durch die Zentrale so gelöst, dass die Älteren nur abends zum Aufpassen eingesetzt werden.

Letztes Jahr haben Sie den „Hamburger Nachweis“ erhalten, einen Preis, der repräsentativ an Ehrenamtliche aus Hamburger Mentoring- und Patenprojekten vergeben wird. Wie wurden Sie dafür ausgewählt?
Ja, das war eine große Ehre. Ich denke, jemand hat mich vorgeschlagen. Neben der Kinderbetreuung mache ich ja auch die Buchhaltung für den Verein. Um Öffentlichkeitsarbeit kümmere ich mich auch, gehe auf Messen und stelle vor, was wir machen, werbe für „Jung & Alt“. Ich stehe sehr hinter unserer ganzen Organisation. Auf der einen Seite gibt es so viele alte Leute, die sitzen zu Hause und wissen nichts mich sich und ihrer Zeit anzufangen. Und auf der anderen Seite sind da die überbeanspruchten Familien, Mütter, Väter, die nicht wissen, wie sie das alles hinkriegen sollen mit Kindern, Arbeit und allem Drum und Dran. Sowas zusammen zu führen, das ist eine sinnvolle Arbeit – und es haben alle etwas davon. Die Kinder haben Freude und sind in guten Händen und die Alten haben wieder eine Aufgabe. Projekte wie dieses tun einfach unserer Gesellschaft gut.

Werden Sie auch mal zu Geburtstagen und anderen Familienfesten eingeladen?
Von Max' Familie werde ich regelmäßig zum Geburtstag eingeladen. An Weihnachten und dergleichen habe ich ja meine Familie. Aber letztes Jahr hat Max an Weihnachten in einem Krippenspiel mitgespielt, da sind mein Mann und ich an Heiligabend in die Kirche gegangen und haben uns das angeguckt. So entstehen halt ganz liebevolle Beziehungen, die man dann auch gerne pflegt.

Und zu guter Letzt – wie werden Sie von den Kindern genannt?
Frau Detloff. Als ich anfing, habe ich mir überlegt, wie ich gerufen werden will. „Oma“ wollte ich nicht sein, das passt irgendwie auch nicht. Meine Kinder sagen auch „Renate“ und nicht „Mama“. Alle Leute sagen „Frau Detloff“ und das bin ich auch für die Kinder. Wenn ich die Familie schon sehr gut kenne, würde ich auch akzeptieren, beim Vornamen genannt zu werden. Manchmal werden die Kinder auf dem Spielplatz von anderen Kindern gefragt, wer ich bin und dann sagen sie: „Das ist Frau Detloff.“ Die anderen fragen dann weiter: „Ist das deine Oma?“ Und dann erkläre ich ihnen, dass das Kind richtige Großeltern hat und ich eben so eine Leih-Oma bin, die kommt, wenn diese nicht können. Ich möchte ja auch gar keine Konkurrenz zu den Großeltern darstellen. Die Kinder haben ihre Großeltern und die sind die Liebsten, so will ich das auch. Aber wenn es nötig ist, dann bin ich da.

Um Projekte wie den Oma-Hilfsdienst umsetzen zu können, ist der Verein auf Spenden angewiesen. Auch du kannst die ehrenamtlichen Helfer unterstützen:

Jung & Alt e.V.

Zahlen & Fakten
170 Ehrenamtliche
230 Projektnutzer, Familien, Senioren, Kindergärten und Altenheime
jährlich 2.000 vermittelte Einsätze
3 hauptamtliche Mitarbeiter
7 Vorstandsmitglieder
9 Kuratoren
100 Vereinsmitglieder

Mehr Infos zum Oma-Hilfsdienst auf Jung & Alt e.V.