Die Schweizer Regisseurin Petra Volpe tourt gerade mit ihrem neuen Film "Die Göttliche Ordnung" und erntet ein Lob nach dem anderen. Der Film über die späte Einführung des Frauenwahlrechts in der Schweiz ist inzwischen für einen Oscar als "Bester fremdsprachiger Film" nominiert. Zu Recht, wie wir finden. "Die göttliche Ordnung" erzählt eine ernste Geschichte auf humorvolle Art. Im Interview begegnen wir einer Frau, die leidenschaftlich über ihr Steckenpferd spricht: Frauenrechte.

amicella: Ihr neuer Film heißt "Die göttliche Ordnung". Warum dieser Titel?
Petra Volpe: Der Titel ist von der Antistimmrechtsbewegung, die in der Schweiz sehr stark war, inspiriert. Diese Bewegung wurde von Frauen angeführt, die Figur aus dem Film ist nicht erfunden. Solche Frauen, die gegen das Stimmrecht gekämpft haben, gab es tatsächlich. In deren Pamphleten stand "Frauen in der Politik sind gegen die göttliche Ordnung". Damit haben sie gesagt, Gott habe die Welt in einer bestimmten Weise eingerichtet. Die Frauen seien demnach zuständig für das Innere, also die Familie, und Männer für das Äußere, die Politik, und wenn man diese Ordnung durcheinander bringt, bedeute das die Apokalypse für die Schweiz. Ich übertreibe nicht, Frauen der Antistimmrechtsbewegung haben wirklich so argumentiert. Das war sehr irrational, da ja um die Schweiz herum, Frauen schon wählen konnten und die Welt dort auch nicht untergegangen ist. Aber diese Frauen haben behauptet, die Schweiz sei ein Sonderfall, ein ganz spezielles Land, das schon immer seine eigenen Regeln gehabt hätte. Das sei immer gut gewesen und das würde man daran sehen, dass es der Schweiz so gut gehe, also müsse man alles so beibehalten.

Was glauben Sie, wie kam es, dass überall um die Schweiz herum die Emanzipation stattfand nur eben nicht in der Schweiz?
Ein Grund ist sicher, dass die Schweiz eine direkte Demokratie ist und die Männer an der Urne darüber abstimmen mussten. Das haben sie zum ersten Mal 1959 getan und abgeschmettert. Aber es war auch so, dass die Politik über all die Jahre dagegen war. Frauen haben hundert Jahre lang dafür gekämpft und immer wieder Petitionen eingereicht, aber die sind buchstäblich in den Schubladen der Bundesräte verschwunden. Ich glaube, das hat mit einem zutiefst konservativen Geist zu tun, der in der Schweiz herrscht. Es ist eine Kultur, die Veränderungen nicht mag.

Wir erleben momentan eine dritte Welle des Feminismus. Wie erleben Sie diese Bewegung?
Ich glaube, unser Film kommt zur rechten Zeit. Die Bewegung hat ja schon länger eingesetzt, weil Frauen gemerkt haben, dass sich zwar gesetzlich viel geändert hat, aber dass die Gesetze nicht umgesetzt werden. Deswegen regt sich wieder Rebellion und Widerstand. Die Frauenbewegung ist ja gerade wieder sehr belebt. Das hat natürlich auch etwas mit den Wahlen in den USA und dem Rechtsruck in Europa zu tun, wo es oft darum geht das Rad der Zeit wieder zurückzudrehen und es sind immer die Frauen, die als erste darunter leiden, wenn es z. B. um Abtreibung oder Arbeitsrecht geht. Ich glaube, viele Frauen merken, dass, wenn wir uns jetzt nicht wehren, einige Dinge, die wir hart erkämpft haben, wieder rückgängig gemacht werden könnten. Auch in Ländern wie Deutschland und der Schweiz, in denen es nicht so extrem ist, verdienen Frauen weniger. Sie machen sehr viel mehr im Haushalt und kümmern sich um die Kinder und Großeltern. Auch wenn sie Vollzeit arbeiten, wird die Hausarbeit oft nicht geteilt. Frauen sind außerdem bei der Altersvorsorge benachteiligt. Altersarmut ist bei deutschen Frauen riesig. Es gibt insgesamt einfach immer noch eine große Ungerechtigkeit in der Gesellschaft. Gerade gestern hab ich einen Artikel darüber gelesen, dass viele junge Frauen wegen der Doppelbelastung keine Lust auf die Arbeitswelt haben und lieber ausschließlich Mutter sein wollen. Aber wenn eine Trennung anstehen sollte, sind diese Frauen stark benachteiligt. Dann finden sie keinen Job mehr und ihre Altersvorsorge sieht schlecht aus, weil sie nicht eingezahlt haben. Sich in alte Strukturen zurückzuziehen, kann einen sehr hohen Preis für Frauen haben.

Jahrzehntelang hat sich die Situation für Frauen in Europa verbessert. Man könnte meinen, dass wir Schritt für Schritt auf dem Weg zur Gleichberechtigung sind. Dem gegenüber stehen jedoch populistische Stimmen, auch in der EU. Wie erklärt sich das für Sie?
Ich glaube, das hat etwas mit der generellen Unsicherheit zu tun, die gerade herrscht. Wenn Menschen verunsichert sind, denken sie wieder in ganz einfachen Bildern. Es ist eben eine komplizierte Welt und Populisten bieten sehr einfache Antworten an, da wird viel mit Angst gearbeitet. Was noch dazu kommt, ist, dass unsere Welt sehr ungerecht ist. Die Schere zwischen Arm und Reich geht in Deutschland immer weiter auseinander. Man sucht schnell Schuldige dafür und findet diese z. B. bei Migranten und besinnt sich dann wieder auf die gute, alte Zeit, in der angeblich alles besser war. Und dahinein gehören halt auch die alten Rollenbilder.

"Sich in alte Strukturen zurückzuziehen, kann einen sehr hohen Preis für Frauen haben."

Wir sehen im Film, wie der Familienvater aus der Not heraus versucht sich das Kochen beizubringen und dafür von seinen Kameraden ausgelacht wird. Die Nachteile von Rollenbildern für Männer werden selten angesprochen. Haben Sie solche Szenen ganz bewusst in den Film aufgenommen?
Ja, es war mir sehr wichtig zu zeigen, dass auch Männer in einem Rollengefängnis stecken und wie der Feminismus sie befreien kann. Männer wie Frauen sind gefangen. Das Patriarchat bedeutet nicht Männer gegen Frauen oder Frauen gegen Männer. Das ist eine kapitalistische Kultur, eine Idee, und ich glaube, der Feminismus ist eine zutiefst soziale Idee, die sowohl Männern als auch Frauen dient. Es war mir ganz wichtig zu zeigen wie der Bruder zugrunde geht, weil er der Tradition folgen muss und sich nicht als Individuum entfalten kann. Männer stehen auch heute unter einem enormen sozialen Druck. Nicht umsonst grassieren Depression und Burn Out unter Männern. Ich glaube, bei Männern ist es sehr komplex, sie fühlen sich nicht so offensichtlich unterdrückt wie Frauen, dabei sind sie genauso in Rollenbildern eingesperrt. Elternzeit für Männer wäre ganz wichtig, sodass sie auch mit ihren Kindern zusammen sein können. Aber in der Arbeitswelt gibt es eine große Unflexibilität. Die Wirtschaft bietet es nicht an und dazu kommt noch ein gesellschaftlicher Druck. In Berlin z. B. sieht man inzwischen viele Väter mit Kinderwagen und auf den Spielplätzen. Aber während unserer Tour hab ich von vielen Seiten gehört, dass Männer auf dem Land, die häusliche Aufgaben übernehmen, nach wie vor dafür gehänselt werden.

Wo sehen Sie konkret Ungerechtigkeit?
Es herrschen immer noch Bilder darüber vor, wie eine Familie auszusehen hat und viele fallen relativ schnell in die 50er Jahre zurück, sobald ein Paar Kinder hat. Die Mutter bleibt bei den Kindern und der Vater bringt das Geld nach Hause. Man kann als junges Paar ganz modern eingestellt sein, aber wenn man es wirklich anders machen möchte, wird man weder vom Staat noch von der Wirtschaft unterstützt.

Vielen Dank für das Interview!

Schweiz, 1971: Nora ist eine junge Hausfrau und Mutter, die mit ihrem Mann, den zwei Söhnen und dem missmutigen Schwiegervater in einem beschaulichen Dorf im Appenzell lebt. Hier ist wenig von den gesellschaftlichen Umwälzungen der 68er-Bewegung zu spüren. Die Dorf- und Familienordnung gerät jedoch gehörig ins Wanken, als Nora beginnt, sich für das Frauenwahlrecht einzusetzen, über dessen Einführung die Männer abstimmen sollen. Von ihren politischen Ambitionen werden auch die anderen Frauen angesteckt und proben gemeinsam den Aufstand. Beherzt kämpfen die züchtigen Dorfdamen bald nicht nur für ihre gesellschaftliche Gleichberechtigung, sondern auch gegen eine verstaubte Sexualmoral. Doch in der aufgeladenen Stimmung drohen Noras Familie und die ganze Gemeinschaft zu zerbrechen.