"Ein Abschied – das klingt hart", so Gudrun Ranftl. "Ein Ende eines Lebensabschnitts klingt schon viel besser und auch zutreffender. Heute, acht Monate später, weiß ich, dass ich genau das Richtige getan habe. Er ist tatsächlich seit einigen Monaten ein junger Erwachsener, der mehr und mehr unabhängig seine Wege geht. Ich habe in den USA nochmals diese intensive Zeit mit ihm genießen dürfen. Ein Stück weit war es eine Reise mit meinem Kind und ein bisschen die Reise in Begleitung eines jungen Erwachsenen."

Erwachsen sein oder Kind? Eine Winterreise voller Gegensätze

Von Gudrun Ranftl

Unsere Winterreise startet in Washington State und über Silvester fliegen wir in den Wilden Westen, nach Arizona. In Washington State wohnen wir in einem kleinen Städtchen in Nähe der kanadischen Grenze bei meinem Freund Rob. Dort gibt es viel Regen auf dem Land, viel Schnee in den Bergen und es ist feucht und kalt. In der Wüste Arizonas hingegen ist es trocken, viele Grade wärmer und wir wohnen in Appartements bei Phoenix. Der Plan, zwei extrem gegensätzliche Reiseziele zu wählen, ist Demian’s Wunsch gewesen. "Mom", so hat er mich schon immer genannt, "ich möchte zu Weihnachten nicht gerne auf Schnee verzichten! Aber vier Wochen Kälte finde ich auch nicht so toll." Um ehrlich zu sein, hat mir seine Idee gut gefallen. Unsere USA-Reise beginnt also am nördlichen Zipfel der Westküste, in Seattle.

Selbstverständlich haben wir vor Abflug noch den Film "Sleepless in Seattle" mit Tom Hanks und Meg Ryan gesehen, um uns auf die Stadt einzustimmen. Im Film eine schöne Stadt und in der Realität? Wir sind gleich bei unserer Ankunft von der modernen Skyline im Wechsel mit den 150 Jahre alten Gebäuden, die sich über die steilen Hügel der Stadt ziehen, begeistert. Von den eisernen Frachtcontainern am Hafen und den in die Höhe ragenden Eisenkränen direkt am Meer. Mitten in der Stadt steht sogar der Hammerman – die Vorgabe zu exakt derselben Statue in Frankfurt am Main. Meinem Sohn gefällt es in einer Stadt, die keiner seiner Freunde bislang bereist hat. Einige sind schon in Florida, in Kalifornien oder in New York gewesen. Seattle kennt bislang keiner. In Robs Haus, das selbstverständlich über Internetanschluss verfügt, setzt sich Demian sogleich an Facebook, um möglichst allen sofort und am besten mit Foto mitzuteilen, wie toll Seattle ist. Was wäre die Welt nur ohne Internet, frage ich mich in solch’ einem Moment. Ich verstehe sein Bedürfnis, sich selbst über die riesige Distanz hinweg, auch mit Gleichaltrigen auszutauschen, was er in den folgenden Abenden immer wieder macht. Einige Abende spielen wir Schach, bei denen ich mittlerweile meistens verliere und das nur schwer verwinde. Andere Abende toben wir zu zweit oder zu dritt an der Wii. Aufgrund des Zeitunterschieds ist es nie sonderlich spät, wenn wir zu Bett gehen oder eventuell braucht Demian bereits doch auch mehr Zeit für sich alleine, um in sein Tagebuch zu schreiben oder in seinem Zimmer gemütlich abzuhängen.

Kind sein hat etwas mit ungebremster Neugierde zu tun. Mit roten Backen in ein Erlebnis einzutauchen ohne Wenn und Aber. Herrlich! Das habe ich als Mutter mit meinem Sohn so oft erleben dürfen. Erlebe ich auch heute noch – doch diese besonderen Momente werden rarer, weil die Pubertät da leider so manche Grenzen setzt. Kindisch sein, wenn man dann wieder älter wird, ist etwas anderes als dieses kindliche Zugehen auf etwas Neues. An einem Morgen verleitet uns ein strahlend blauer Himmel auf jeden Fall zu diesem Abenteuer mit roten Backen.

"Lass uns in die Berge fahren und im Schnee spielen", so der Vorschlag meines Freundes, Rob. Ich blicke skeptisch zu meinem Sohn, der nicht die allergrößte Begeisterung zeigt. Eben eine typische Zurückhaltung, mit der er zeigt, das sei vielleicht ein wenig albern. Rob jedoch lässt sich nicht abbringen. Er beginnt sogleich, zwischen Garage und Wagen hektisch hin- und herzulaufen. Er lädt jede Menge Geräte wie Schneeketten, Schneeschuhe, Skistöcke, ein Schneemessgerät und eine Schneeschippe ins Auto.

Wir sehen Robs Aktivitäten etwas Schultern zuckend zu, denn vor seinem Haus liegt an diesem Morgen keine einzige Schneeflocke. Das sollte jedoch nach etwa anderthalb Autostunden komplett anders werden: Wir sind auf 2500 Metern Höhe ihm Gebiet des Mount Bakers und nur noch von Schneemassen umgeben. Mit dem Schneemessstab tauchen wir vollkommen ein, was soviel bedeutet, dass mehr als zwei Meter Schnee unter uns liegen. Wir beginnen mit den Spaten in den Schnee zu stechen, um in dieser märchenhaften Schneelandschaft eine Schneehöhle zu bauen. Binnen einer Stunde haben wir so tief gebuddelt, dass jeder einmal in dieses Haus hineinklettern kann. "Wow! Ist das cool", ruft Demian, legt sich hinein und streckt die Arme und Beine von sich. "Und warm ist das! Und das liegt bestimmt nicht nur am Schnee Schaufeln!" Ich klettere auch hinein und das Gefühl, umgeben von Schneemassen zu liegen, und rund um sich eine geborgene Wärme zu fühlen, habe ich bis dahin noch niemals erlebt. "Das ist mein erstes Schneehaus!", rufe nun auch ich. Mit roten Backen liegen wir dann alle drei da und erfreuen uns am eigenen Bauwerk.

Silvester wollen wir laut Plan in einem wärmeren Umfeld genießen. Hoffnungsvoll auf Sonne und Wärme fliegen wir nach Arizona. Tatsächlich entkommen wir in knapp fünf Flugstunden all der nassen Kälte. Am Tag klettert das Thermometer auf etwa 18 Grad. "Willkommen im Land der Cowboy", scherzt Demian und zieht demonstrativ seine Jacke aus.

Unser erstes Ziel ist die MTM Ranch in Cave Creek. Wir vereinbaren einen Ausritt zu Pferde. Das muss sein, sage ich, die Pferde über alles liebt, zu den beiden Männern. Mein Sohn kommt zwar das eine oder andere Mal auch in Österreich mit mir zum Reiten, aber ich habe schon feststellen können, dass zu Hause mehr und mehr andere Dinge angesagt sind. "Reiten ist für Jungs nicht wirklich cool", meinte er eines Tages zu mir. "Aber im Land der Cowboys ist es dann doch etwas Anderes", sagt er in Pheonix und grinst. 8 Uhr frühmorgens ist die einzige Stunde, die Patty von der MTM Ranch noch für uns frei hat. Wir fahren zurück zu unseren Appartements.

Demian übernachtet in Arizona die ersten Male in seinem eigenen Appartement. Er genießt es, wie in einer eigenen Wohnung zu leben. Die meisten Appartements haben Wasserkocher und eine kleine Küche. Ich sehe, wie er diese Freiheiten genießt. Er hat sich schon immer gut alleine beschäftigen können, gerne gelesen oder war zufrieden, wenn er sich einfach selbst etwas zu Essen macht. Aber in seinem eigenen Appartement in einem fremden Land gibt es weder mich noch andere Menschen, die sein Tun verfolgen. Wenn er etwas braucht, holt er es sich selbst mit seinen Dollars und Rat kann er sich im Notfall ja auch telefonisch holen. "Mir kommt das vor, als würde ich in meiner eigenen Wohnung wohnen", sagt er und bringt damit auch meinen Eindruck davon genau auf den Punkt.

Gegen Ende der Reise freut sich Demian schon sehr auf seine Freunde, sein Zimmer, unser Haus und auf die Gespräche mit Gleichaltrigen. "Ich denke, ich weiß jetzt, was du mit Abschiedsreise gemeint hast", sagt er schließlich bei unserem ersten Frühstück in Frankfurt und ward in den folgenden Wochen kaum noch gesehen. Macht nichts, denke ich mir. Es fällt mir leichter loszulassen, denn die schönen Erinnerungen an diese Reise mit meinem Sohn, die bleiben.