Entweder – Oder?

Sex hat eine zentrale Rolle in Beziehungen. Er kann zu Intimität, Nähe und Verbundenheit des Paares und in dem Zusammenhang zu körperlichem und psychischem Wohlbefinden führen, so Mirjam Spitzner. Aber auch: "Sex ist ein störanfälliger, sensibler Bereich, der das, was er herstellt, auch zum Gelingen braucht. Also zum Beispiel: Sex tut mir psychisch gut, aber um Sex zu haben, muss ich mich auch psychisch wohl fühlen." Das klingt schnell nach einer Entweder-Oder-Perspektive des Sexlebens oder einem Teufelskreislauf. Entweder man hat guten Sex, weil es einem in der Beziehung gut geht – oder eben nicht. Leidet ein Paar unter Lustlosigkeit, kann das fatal sein und der Beziehung sehr schaden. Im Umkehrschluss kann es auch ein Zeichen für ernstere Beziehungsprobleme sein, die zu Lustlosigkeit führen. Wie kann so ein Kreislauf durchbrochen werden?

Vertrauen als neue Chance

Es heißt, in langen Beziehungen sei weniger Sex ein Zeichen für Stabilität, weil Paare sich nicht ständig ihre Liebe und Zuneigung beweisen müssen und ihre Beziehung in Sicherheit wiegen. "Es ist wissenschaftlich bewiesen, dass die Häufigkeit von Sex nachlässt. Lange, stabile Beziehungen und Aufrechterhaltung des Sexlebens schließen sich aber nicht aus. Am Anfang einer Beziehung gibt es die Spannung und Aufregung des Neuen, aber auch Unsicherheit. In langen Beziehungen dagegen eher Vertrauen und Sicherheit, aber auch Routine." Viele Paare nehmen das gewonnene Vertrauen nicht als Chance wahr, sondern stören sich hauptsächlich an der Routine: "Mit gefestigtem Vertrauen kann man Neues ausprobieren, andere Facetten kennenlernen und eine Intimität erleben, die in der rauschhaften Verliebtheitsphase gar nicht möglich ist." Anstatt sich an der Routine des Alltags zu stören, kann man als Paar also auch das gegenseitige Vertrauen für neue Spannung nutzen. Wem man vertraut, vor dem kann man leichter sexuelle Wünsche äußern und würde eher auf die Wünsche des Partners eingehen. Spannung durch Neues ist auch in Langzeitbeziehung möglich. Aber man muss das Neue auch wagen.

Unrealistische Erwartungen

Sex trägt zum Erhalten der Nähe eines Paares bei, ist jedoch nicht der einzige Faktor, der lange und gleichzeitig glückliche Beziehungen ausmacht. Sexualität sollte nicht überbewertet werden. "Entscheidend ist die Frage, welchen Stellenwert Sex für das Paar hat. Geht es allein um die Häufigkeit, um den gemeinsamen Orgasmus oder um andere Formen von Lust?" Es muss geklärt werden, was man voneinander will. Gleichzeitig kann eine verzerrte Wahrnehmung von Sex unrealistische Erwartungen hervorrufen: "Man muss sich darüber klar werden, inwiefern das eigene Erleben im Vordergrund steht und was einem als Paar sexuell gut tut. Oft haben hohe Ansprüche etwas mit medialen Inszenierungen von Sex zu tun – die nicht auf die Realität übertragbar sind." Es muss also nicht immer wie in Liebesfilmen zugehen! Man darf sich selbst nicht zu sehr unter Druck setzen und herausfinden, was einem als Paar tatsächlich gut tut und nicht zwanghaft versuchen nachzuahmen, was einem durch Medien als normal und richtig präsentiert wird.

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Reden ist alles

Wenn man ausgeschlossen hat, dass die Unzufriedenheit nicht an zu hohen Erwartungen (sowohl an Sex als auch an Romantik) liegt, sondern einen anderen Grund haben muss, geht es laut Spitzner im ersten Schritt darum wieder über Lust ins Gespräch zu kommen. Bei manchen wird an diesem Punkt überhaupt das erste Mal offen über Sex gesprochen. Das können ganz unterschiedliche Anliegen des Paares an einander sein. „Was brauche ich? Was wünsche ich mir? Wie können wir als Paar für eine lustvolle Stimmung sorgen?“ Das sind Fragen, die man sich auch erst einmal selbst stellen kann. Die Lösungen für solche Fragen sind von Paar zu Paar ganz unterschiedlich. Manche wollen mehr Spontanität, um Spannung aufzubauen, andere verabreden sich konkret, um Sex oder einfach nur die gemeinsame Zeit zu zweit in ihren stressigen Alltag unterzubringen.

Wer nicht wagt, der nicht gewinnt

Ein solches Gespräch anzuzetteln ist schwer. Denn man läuft immer Gefahr, dass man den Partner kränkt, wenn man erzählt, dass man mit dem gemeinsamen Sexleben unzufrieden ist. Aber wer etwas ändern will, muss mit dem Partner reden, so Spitzner und damit auch das Risiko von Konflikten eingehen. Wer nicht wagt, der nicht gewinnt. Wenn man selber unzufrieden ist, ist es auch wahrscheinlich, dass der Partner ähnlich denkt und man sich einen Gefallen tut, indem man das heikle Thema anspricht. Wie man miteinander redet, sagt viel über die Beziehung an sich aus. „Bei der Kommunikation eines Paares wird schon deutlich, dass es meist um mehr als Sex geht. Wie offen sind wir als Paar miteinander? Wie sagen wir, was wir wollen und wie gehen wir mit Unterschieden um? Gibt es eine Basis von grundlegender Wertschätzung? Was hat uns früher Spaß gemacht und Lust bereitet? Und die essentielle Frage: Was hindert uns jetzt daran?“

All diese offenen Fragen, kann man sich als Paar aber auch für sich allein stellen, wenn man mit dem Sexleben in der Beziehung unzufrieden ist. Vor allem wenn man befürchtet, dass das Problem weitere Bereiche der Beziehung betrifft. Denn ein eingeschlafenes Sexleben kann auch ein Symptom eines schwerwiegenderen Problems der Beziehung sein – oder einfach nur Routine. Das gilt es herauszufinden.

Mirjam Spitzner

Arbeitet als Paar-
und Sexualtherapeutin in Hamburg.

Für amicella hat sie alle Fragen
rund um das Thema Sex in
Langzeitbeziehungen beantwortet.

www.paarberatung-sexualberatung-hamburg.de