Nicht nur deine Familie streitet sich jedes Jahr unterm Baum. Damit du dieses Mal deinen Braten ohne passiv-aggressive Schuldzuweisungen genießen kannst, haben wir hier was für dich. Egal, ob du keine Lust mehr hast, immer alle zu bekochen oder die Familie deinen Partner nicht mag - in unserem Worst-Case-Szenario wirst auch du dich wiederfinden! Zu jeder Situation haben wir Tipps von Paar- und Familientherapeutin Dr. Sandra Konrad eingeholt.

Anfang November in einer süddeutschen Kleinstadt:

Familie Behrens beginnt, das Weihnachtsfest zu planen. Mutter Sabine ruft bei ihrer Tochter an: „Na Marie, mein Liebling, ich weiß du bist jetzt Azubi und hast einen Freund aber Weihnachten verbringst du doch hier zu Hause, oder? Die ganze Familie freut sich schon so sehr auf dich.“ Marie antwortet, dass sie Weihnachten gerne mit ihrem Freund verbringen möchte. „Bring ihn doch einfach mit!“. Ja, wenn das so einfach wäre. Die Eltern von Maries Freund sind geschieden und möchten natürlich auch was von ihrem Sohn haben. Außerdem wohnen die nicht 120, sondern 500 Kilometer entfernt. Marie vertröstet ihre Mutter mit einem „Es ist ja noch so viel Zeit bis dahin, ich rufe dich später nochmal an.“ Sie ruft aber nicht an. Stattdessen argumentiert sie mit ihrem Freund, wessen Familie sie besuchen sollen, um nicht einen kompletten Tag im Zug verbringen zu müssen.

Tipp von Dr. Sandra Konrad: Wenn du Weihnachten nicht wie gewohnt verbringen willst, sage früh genug Bescheid! So haben alle die Möglichkeit, sich an den Gedanken zu gewöhnen. Im Idealfall überlegen Eltern dann selbst – vielleicht zum ersten Mal – wie sie Weihnachten anders gestalten könnten, vielleicht in den Urlaub fahren oder es einfach ausfallen zu lassen, ohne andere zu enttäuschen.

Währenddessen...

...ruft Sabine ihren Erstgeborenen Paul an. Paul ist nicht mehr 19, wie Marie, sondern 27, verheiratet und hat zwei Kinder. Die Weihnachtsfeiertage verbringen sie jedes Jahr abwechselnd bei seinen Eltern oder den Eltern seiner Frau Lena. Letztere wären dieses Jahr dran – eigentlich. „Paul, wollt ihr nicht dieses Jahr trotzdem zu uns kommen? Es ist das erste Fest, seit Marie ausgezogen ist und sie möchte bestimmt ihren großen Bruder sehen.“ Paul jongliert nebenbei Windeln und Fläschchen und fragt seine Mutter, warum das überhaupt jetzt schon besprochen werden müsse. Im Moment hätte er einfach Wichtigeres zu tun. Er legt auf. Dass Lena lieber bei ihren eigenen Eltern feiern will, ist ihm jetzt schon klar.

Tipp: Bist du dir mit deinem Partner nicht einig, gilt das Gleiche wie bei allen anderen Konflikten auch: darüber sprechen, hilft. Tauscht euch über eure Wünsche aus, möglichst, ohne den anderen zu bewerten. Versucht, zuzuhören und die Bedürfnisse des anderen zu verstehen. Nicht immer findet ihr eine gemeinsame Lösung, aber egal, wie ihr Weihnachten letztlich feiert: Der Weg dahin ist auch ein Ziel. Lieber bewusst einen Kompromiss schließen oder bewusst an Weihnachten getrennte Wege gehen und sich danach wieder aufeinander freuen anstatt sich selbst und dem anderen das Fest mit schlechter Laune zu vermiesen.

Sabine ist resigniert.

Nicht nur, weil ihre Kinder sich scheinbar nicht mehr für sie interessieren. Wenn sie ehrlich ist, würde sie die Feiertage gerne mal nur mit ihrem Mann Karl verbringen. Ganz zu zweit waren sie gefühlt seit 30 Jahren nicht mehr. Aber sie kann ja nicht einfach alle ausladen. Was sollen denn die Anderen denken? Die Anderen, das sind die Großeltern, die Schwiegereltern, ihre beiden Brüder und die Schwester ihres Mannes. Alle kommen samt Partner und Kindern seit vielen Jahren an ihrem Esstisch zusammen. Würde sie jetzt einfach einen Last-Minute-Flug buchen und mit Karl verschwinden, würden drei bis fünf Familienmitglieder für mindestens zwei Monate nicht mehr mit ihr reden.

Tipp: Wer Traditionen verändern möchte, muss mit Gegenwind rechnen. Aber Veränderungen bringen auch Lebendigkeit und mitunter sogar Erleichterung für alle Beteiligten. Wenn nie jemand wagt, seine persönlichen Wünsche anzubringen, feiert ihr vielleicht über Generationen hinweg auf eine Art, die für niemanden mehr passend ist. „Weil es schon immer so war“ ist kein ausreichend guter Grund, etwas für immer so zu belassen. Mach dir außerdem klar, was dir am wichtigsten ist: Gutes Essen – gute Gespräche – viel Zeit für sich allein – viel Zeit mit dem Partner oder den Kindern – viel Zeit mit der Herkunftsfamilie? Alles auf einmal wird nicht funktionieren, weil wir uns nicht vierteilen können. Perfekt werden die Feiertage ohnehin nicht sein, weil nichts und niemand perfekt ist. Oft hilft es, sich klarzumachen, dass Weihnachten ein Abend oder eben mehrere Tage sind, die man mit Menschen verbringt, die man sich nicht ausgesucht hat und die einem trotzdem am Herzen liegen. Und, dass es eigentlich nur darum geht, eine gute Zeit zu haben.

23. Dezember:

Sabine kommt aus dem Supermarkt und räumt die Einkäufe ein, während die Familienmitglieder nach und nach eintrudeln. Zwischen Rotkohlgläsern und Entenfond begrüßt sie alle und teilt Zimmer zu. Karl schaut einen alten Film und wartet, bis alle zu ihm ins Wohnzimmer kommen. Er sitzt auf der Couch, auf der er und Sabine später schlafen werden. Die Großeltern sollen es ja gemütlich haben.

Tipp: Wenn du sehr faule Familienmitglieder hast, lege zu Beginn eine To-Do-Liste aus, in die jeder sich eintragen muss. Du kannst auch Aufgaben verteilen oder würfeln. Auf jeden Fall sollte von Anfang an klar sein, dass nicht einer alleine Koch, Kellner und Zimmermädchen in einem ist. Wenn du in einem Schloss wohnst, wird es schwierig, deinen Besuch zu bitten, ins Hotel zu gehen - ansonsten: Warum nicht? Wenn du vorab schon weißt, dass es dir zu viel wird, deine Familien zu beherbergen – egal aus welchem Grund – sprich es frühzeitig an, damit deine Eltern genug Zeit haben, sich an den Gedanken zu gewöhnen und ihr gemeinsam eine gute Lösung bzw. Unterkunft finden können.

Das bleibt in der Familie: Von Liebe, Loyalität und uralten Lasten

Von Sandra Konrad
Piper Verlag
Preis: € 11,00
Ausstattung: 304 Seiten, Broschur
ISBN 978-3-492-30530-3

Wir alle haben eine Familie und mit der müssen wir irgendwie leben. Wir sind durch sie geprägt und durch Liebe und Loyalität an sie gebunden. Sandra Konrad zeigt, wie wichtig eine bewusste Auseinandersetzung mit der Familie ist.

24. Dezember 24. Dezember

Der volle Weihnachtsspaß beginnt. Sabine bereitet das Essen vor, Karl erhebt sich von der Couch um den Weihnachtsbaum aufzustellen, die Kinder schmücken und schließlich sitzen alle um einen Tisch. Sie essen zusammen, gehen zusammen in die Kirche, machen zusammen Bescherung, gucken zusammen einen Weihnachtsfilm und spielen zusammen Gesellschaftsspiele. Drei Tage lang tun sie alles zusammen.

Tipp: Viele Menschen müssen sich hier erst einmal selbst die Erlaubnis geben, dass sie gut für sich sorgen dürfen, zum Beispiel: Ich brauche jeden Tag mindestens eine Stunde Zeit für mich und die werde ich mir auch nehmen. Wie du das machst, bleibt dir überlassen: Geh‘ spazieren, mach ein Mittagsschläfchen, zieh dich mit einem Buch auf dem Sofa zurück. Diese Auszeiten sind letztlich für die gesamte Familie gut, denn sie helfen, einen Hüttenkoller zu vermeiden.

Alle sind da – außer Marie.

Sie ist mit ihrem Freund zu dessen Eltern gefahren. Das ist natürlich Thema des Tischgesprächs. Paul und seine Frau äußern sich dazu nicht. Sie sind zu sehr damit beschäftigt, vorwurfsvolle Blicke auszutauschen. Die anderen Erwachsenen haben stattdessen alle eine Meinung dazu. Karl versucht Einhalt zu gebieten und sagt halb ernst halb ironisch, dass die Kleine halt Flügge werde. Noch vor der Vorspeise hat trotzdem jeder seinen Senf dazugegeben.

Tipp: Manche Menschen wollen, dass alles so bleibt, wie es einmal war. Wenn wir uns diesen Wünschen anpassen, gibt es keine Weiterentwicklung. Spätestens, wenn du eine eigene Familie gründest, ändern sich die Möglichkeiten und die Prioritäten ohnehin. Kleinen Kindern ist nicht zuzumuten, die Weihnachtstage im Auto zu verbringen, um von den einen Großeltern zu den anderen zu fahren. Aber auch ohne Kinder entsteht oft der Wunsch, ein eigenes Weihnachtsfest zu gestalten. Wenn du magst, lade deine Eltern bzw. deine Familie ein. Oder teile frühzeitig mit, dass du Weihnachten das nächste Jahr ausfallen lassen möchtest.

Dann kommt der Braten auf den Tisch.

Kathleen, die 16-jährige Tochter von Karls Schwester, nimmt sich nur von den Beilagen. Oma Martha wirft einen skeptischen Blick auf ihren Teller. „Kind, warum isst du denn nichts?“ „Ich bin seit drei Monaten Vegetarierin!“ entgegnet der Teenager. Das lenkt die Konversation von der fehlenden Marie ab. Die Familie diskutiert bis zur Nachspeise die Vor- und Nachteile der fleischfreien Ernährung. Natürlich nicht, ohne den ein oder anderen Vegetarierwitz zum Besten zu geben.

Tipp: Am besten legst du dir vorab ein paar witzige Antworten zurecht. Wenn das nicht hilft, dreh den Spieß um, antworte auf jede Frage mit einer Gegenfrage, die das Gegenüber zum Nachdenken bringt. Vielleicht ist es aber auch spannend, sich auf vermeintlich unangenehme Fragen einmal einzulassen und in aller Ruhe eine Antwort zu finden. Für sich selbst, nicht für den anderen. Wenn dir bei bestimmten Themen sehr unwohl ist, sag es. Und dann fang stattdessen ein Thema an, das dich interessiert. Ihr könnt tagelang über das Wetter reden. Am Ende werdet ihr euch zu Tode gelangweilt und nichts vom anderen erfahren haben. Die innere Leere, die bei allen entsteht wird alle davon abhalten, sich auf das nächste Zusammentreffen zu freuen. Also nutze lieber die Möglichkeit, gute intensive Gespräche zu führen über Themen, die dich interessieren und inspirieren.

Schließlich...

... räumt Sabine alleine den Tisch ab. „Nein, bleibt sitzen, ich mache das schon!“, sagt sie und wirft einen leicht angesäuerten Blick zu Karl. Lena folgt ihr trotzdem in die Küche. Um ihr beim Dessert zu helfen, sagt sie. Hauptsächlich jedoch, um Paul aus dem Weg zu gehen. Sie wäre jetzt nämlich lieber bei ihren eigenen Eltern, aber das ging ja nicht wegen Marie, die jetzt doch nicht da ist. In der Küche erzählt Lena das ihrer Schwiegermutter Sabine, obwohl die beiden noch nie einen guten Draht hatten. Sabine platzt der Kragen. Das merkt der Rest der Familie im Wohnzimmer natürlich, mischt sich ein und schon ist eine mittelschwere Krise ausgebrochen.

Tipp: Ob du dich mit deiner Schwiegermutter wenigstens für ein paar Tage verstehst, hängt ganz von dir und deiner Schwiegermutter ab. Im Ernst, du heiratest immer eine Familie und wenn möglich, findet ihr eine gemeinsame Schnittmenge, sei sie noch so klein. Bitte deinen Partner oder deine Partnerin, dir dabei zu helfen oder dich aus unangenehmen Situationen zu retten, er oder sie kennt seine Familie und die umliegenden Fettnäpfchen schließlich am besten. Ist die Situation trotzdem eskaliert, ist nach einem großen Streit eine kleine Pause immer gut. Idealerweise reflektiert jeder seinen Anteil an der Explosion und übernimmt dafür vor den Anderen Verantwortung. Warte nicht, bis die anderen erwachsen reagieren, fang selbst an und geh mit gutem Beispiel voran.