Ein Mann soll es sein, aber bitte kein Türke. Ein Deutscher wäre perfekt – nur mit der typisch türkischen Leidenschaft. Vor zehn Jahren hatte Hatice Akyün ein klares Bild davon, wie ihr Traummann auszusehen hat. Ihre Suche nach Mr. Right beschrieb sie 2003 in ihrem ersten Roman "Einmal Hans mit scharfer Soße". Inzwischen ist ihre Geschichte auf der großen Leinwand zu sehen. Sichtlich stolz und strahlend begrüßt sie unsere Redakteurin und spricht über Klischees, Familienbande und türkische "Kartoffeln".

Interview: Julia Reich

Frau Akyün, wie ist ein "Hans mit scharfer Soße" und was macht ihn so attraktiv?
Hatice Akyün: (überlegt) Knapp formuliert: Ein Hans mit scharfer Soße ist so zuverlässig wie der Mercedes meines Vaters und so feurig wie das Essen meiner Mutter. Der "Hans" steht für den deutschen Mann. Ich stehe besonders auf blonde Haare und blaue Augen, was wohl daran liegt, dass ich selbst schwarzhaarig bin und meine ganze Familie auch. In der ersten Klasse war ich mal in Sven Müller verliebt, der war blond und hatte so blaue Augen. Ich glaube, damals hat sich mein Beuteschema verfestigt. Irgendwann hab ich mir gedacht: Ach, so einen großen, blonden Deutschen, aber mit der türkischen Leidenschaft, der Komplimente macht, im Restaurant die Rechnung übernimmt und mir die Sterne vom Himmel holt – der wäre perfekt, nämlich der Hans mit scharfer Soße.

Ihr Film-Freund Stefan ist begeistert von Ihren türkischen Wurzeln, möchte am liebsten selbst Türke werden und sich sogar beschneiden lassen. Das ist auf jeden Fall eine meiner Lieblingsszenen. Reagieren viele Männer so begeistert auf türkische Traditionen?
Das kommt natürlich immer auf die Männer an. Einer meiner Ex-Freunde, der übrigens auch Stefan hieß, hat immer gesagt: "Ich lasse mir einen Schnurrbart wachsen, das findet dein Vater bestimmt toll!" Er wollte natürlich einen guten Eindruck hinterlassen, weil er mich geliebt hat. Als wir dann zum Thema Beschneidung gekommen sind, hat er gefragt: "Muss das sein?" – "Keine Sorge, das wird nicht kontrolliert." Auf der anderen Seite kenne ich viele Türken, die deutscher sind als jeder Deutsche, den ich kenne – absolute Kartoffeln, sage ich immer. Die haben sich schon assimiliert und alles Türkische abgelegt. Eine Kombination aus deutsch und türkisch, die man so wie ich im Alltag ganz selbstverständlich lebt, das ist eigentlich das perfekte Leben. Das macht auch Hatice im Film, sie hat ihr deutsches Leben als Single-Frau in Berlin, hat ihren Job als Journalistin — und auf der anderen Seite ist sie aber auch die türkische Tochter. Sie genießt es, mit ihren Schwestern zusammen zu sein, Schönheitsrituale im Hamam zu zelebrieren. Das ist alles auch Teil meines Lebens.

Die Außenwirkung des Familienlebens auf andere Türken scheint Ihrer Familie sehr wichtig zu sein. Wie ist das heute?
Es hat sich sehr geändert. Mein Vater liebt ja seine Kinder — er kommt nur nicht so gut damit klar, dass sie nicht die türkischen Traditionen leben, mit denen er aufgewachsen ist und die er an sie weitergeben wollte. Wenn man in einem anderen Land lebt, muss man sich von einigen Traditionen emanzipieren können und das machen in allererster Linie die Kinder. Mein Vater weiß mittlerweile, dass ich ein ganz normales deutsches Leben lebe, das ist nicht mehr dramatisch. Wenn wir aber bei Verwandten sind, entschuldigt er sich manchmal für mich. Er sagt dann immer: "Meine Tochter Helga, die ist schon sehr deutsch." So nennt er mich, aber sehr liebevoll.

Ihre Mutter ist meine Lieblings-Filmfigur. Sie ist sehr energisch, laut und hat im Haus die Hosen an.
Das ist sie absolut. Ich habe den Film gesehen und dachte: Das gibt es doch nicht, das ist meine Mutter! Sie hat bei uns schon immer die Hosen angehabt, obwohl sie noch nie welche getragen hat. Ich beschreibe die Beziehung meiner Eltern immer so: Mein Vater ist der Bundespräsident, er repräsentiert, und meine Mutter ist die Kanzlerin, die entscheidet.

Könnte man sagen, dass so die typische türkische Mutter ist?
Der ersten Generation, würde ich sagen. Da gibt es natürlich auch Unterschiede, Idils Mutter (Idil Üner, spielt Hatice im Film, Amn. d. Red.) ist ganz anders, sie kommt aus einem ganz anderen türkischen Haushalt. Aber ich denke, viele Türken meiner Generation werden ihre Mutter wiedererkennen.

Sie sagen oft, dass Sie nicht auf Ihre türkischen Wurzeln reduziert und auf Ihre Herkunft angesprochen werden möchten. Haben Sie Angst, dass das durch den Film eher noch zunehmen wird?
Ich bin jetzt fast 45 und werde gelegentlich noch auf Partys angesprochen: "Was sagt denn dein Vater dazu? Darfst du Alkohol trinken?" Was soll denn mein Vater sagen? Ich bin 45! Man hat immer noch dieses veraltete Bild einer Türkin im Kopf. Ich möchte gar nicht, dass es abgeschafft wird, sondern dass man ein bisschen differenziert. "Darauf reduziert werden" ist vielleicht zu hart, ich arbeite ja mit dem Thema. Meine Herkunft ist sozusagen mein Broterwerb, ich schreibe Bücher über mein deutsch-türkisches Leben. Was ich möchte, ist aber auch einfach Journalistin und Schriftstellerin zu sein, und dass man mich nicht nur auf diese türkischen Themen reduziert. Der Film beleuchtet beide Seiten. Wenn ich damit erreichen kann, dass die Deutschen und Türken in Deutschland zusammenrücken, das Wir-Gefühl gestärkt wird, ist das für mich ein großes Kompliment.

Sie werden oft mit Klischees über Deutsch-Türken konfrontiert, mit denen Sie aufräumen möchten, spielen in Ihren Büchern aber selbst damit. Wie passt das zusammen?
Es sind gar keine Klischees! (lacht) Alles Realität! (lacht noch mehr) Und Klischees sind doch sehr liebeswert, jede Nation hat so ihre eigenen. Womit ich Probleme habe, sind negative Vorurteile, fertige, einbetonierte Meinungen. Ich versuche da zu differenzieren. Klar arbeite ich mit Klischees. Ich finde es schön, dass man sie auf der einen Seite bestätigen, auf der anderen Seite damit aufräumen kann, und das auf humorvolle Weise. 

Von einigen werden Sie als "Ulknudel der Integration" kritisiert. Es heißt, Sie würden die Probleme der Migranten "unter den Gebetsteppich kehren" (beide Zitate von der Soziologin und selbsternannten Frauenbefreierin Necla Kelek, Anm. d. Red.). Wie gehen Sie mit solcher Kritik um?
(lacht) Ich lache. Ach ja, "Ulknudel". Da hab ich wahrscheinlich nur das verbale Nudelholz für die Dame parat. Wir Türkinnen sind nicht die Opfer von gewissen sozialpädagogischen Schriftstellern. Ich lasse mich nicht in eine Schublade stecken, weil jemand meint, ein bestimmtes Bild türkischer Frauen verfestigen zu können. Es gibt Frauen, die unterdrückt werden, die Opfer sind. Und es ist schön, dass es Schriftsteller gibt, die sich mit dem Thema auseinandersetzen. Ich versuche, mit meinen Geschichten das Bild der türkischen Frau in Deutschland zu vervollständigen. Genauso wie diese Leute ihr Recht auf ihren Platz haben, habe ich das Recht auf meinen, und darauf zu sagen: Ich bin nicht zwangsverheiratet, mein Vater hat mich nicht geschlagen, ein Kopftuch trage ich nicht und werde nie eins tragen – und einen Gebetsteppich habe ich übrigens auch nicht. Deswegen mache ich mir über diese Kritik keine Gedanken. Das mit der Ulknudel finde ich lustig (lacht). Ich bin gerne lustig, ich bin gerne eine Ulknudel. Ulknudel ist ein sehr schönes deutsches Wort, ich mag das!

Es scheint einige ja wirklich zu stören, dass Sie auch die positiven Seiten der Deutsch-Türken aufzeigen.
Ja, weil sie natürlich ein gewisses Alleinstellungsmerkmal mit ihren Leidensgeschichten haben wollen. Und wenn dann eine mit ihren High Heels ankommt und sagt: "Ist doch alles schön hier, ich lebe noch und bin nicht dem Ehrenmord zum Opfer gefallen", dann durchkreuze ich ihre These. Ich bin sozusagen das lebende Beispiel eines Nicht-Ehrenmordes und das stört einige. 

Apropos High Heels: Die Film-Hatice hat über 130 Paar, haben Sie diesen Schuhtick wirklich?
Ich habe seit heute Morgen 8 Uhr diese Schuhe an! (holt ein Paar rote Gucci High Heels aus ihrer Handtasche) Die ziehe ich jetzt nur für Sie noch einmal an (zieht ihre gemütlichen Mokassins aus und schlüpft in die High Heels). Ich habe eine Glasvitrine zuhause. Andere Leute stellen sich ihre Porzellanelefanten in ihre Vitrine, ich stelle meine schönsten High Heels rein. Ich kaufe nicht einfach wild Schuhe, ich kaufe mir Schuhe zu bestimmten Anlässen oder für einen Mann, mit dem ich eine Verabredung habe. Deswegen kann jedes Paar meiner Schuhe eine Geschichte erzählen.

Mittlerweile gibt es viele Filme, die im Culture-Clash-Genre angesiedelt sind, darunter auch viele deutsch-türkische.
Ja, wobei ich sagen muss, dass Einmal Hans mit scharfer Soße der erste Film ist, in dem der Held eine türkische Frau in Deutschland ist. Sonst ist es immer der Mann, der sich in eine Orientalin verliebt, in die verbotene Frucht. Nie ist es die Heldin, die selbstbewusst durchs Leben geht, einen Beruf hat und sich den Mann nimmt, den sie gerne möchte. Das ist das besondere an Einmal Hans mit scharfer Soße. Aber ja, es gibt so einige Culture-Clash-Filme und es werden noch mehr, die nächsten Generationen wachsen heran. Wenn ich mir die heute Zwanzigjährigen anschaue, die hier geboren und aufgewachsen sind — ihr Lebensverständnis ist anders als das meiner Generation. Ich bin vielleicht noch türkischer als sie. Zum Beispiel Elyas M’Barek: Der ist, mal abgesehen von seinem wahnsinnig guten und südländischen Aussehen, doch durch und durch ein deutscher Jung‘.

Was sagt Ihre Familie dazu, dass ihr Leben, ihre Erlebnisse nun sogar auf der großen Leinwand zu sehen sind?
Mein Vater freut sich darauf, zu sehen, wie er dargestellt wird. Meine Mutter hat ein bisschen Angst, aber ich habe gesagt: "Mama, du bist großartig!" Meine Familie freut sich über den Erfolg. Sie fühlen sich auch nicht von mir verkauft, ganz und gar nicht. Dieser Film ist eine Liebeserklärung an meine Familie.

Was ist Ihre Lieblingsszene im Film geworden?
(lacht) Oh, es gibt so viele! (überlegt) Es gibt da diese tolle Szene, in der Hatice mit ihren Schwestern im Bett liegt und sie ein unglaublich berührendes, traditionell türkisches Lied singen, das jeder Türke kennt („ayas yollari“ – Anm. d. Red.). Und dann gibt es noch die Szene als auf der Hochzeit alles auffliegt und der Vater fragt: "Wer sind Sie?" – "Ich bin Hannes." Und dann sagt die Mutter:"„Aber das ist Hannes!" und zeigt auf den anderen Mann. Und der sagt dann: "Für euch sind wir doch alle Hannes." (lacht sehr) Ich habe mich weggeschrien, vielleicht ist das meine Lieblingsszene.

Könnten Sie sich vorstellen, selbst ein Drehbuch zu schreiben?
Ich schreibe gerade eins! Ich habe immer mit dem Gedanken gespielt, das Drehbuch für Einmal Hans mit scharfer Soße zu schreiben, habe aber schnell festgestellt, dass mir das Thema zu nah ist. Das Drehbuch, das ich jetzt schreibe, ist auch eine deutsch-türkische Geschichte, hat aber nichts mit einer Frau oder der Liebe zu tun. Es ist die Geschichte eines 17-jährigen Jungen.

Was sagen Sie zu Idil Üner als Hatice?
Ganz ehrlich, das ist nicht für die Presse erfunden: Ich wurde 2005, als das Buch gerade vier Wochen auf dem Markt war, von einer Journalistin gefragt, wen ich bei einer Verfilmung für meine Rolle auswählen würde. Ich habe wie aus der Pistole geschossen gesagt: Idil Üner! Ich habe Idil Üner erst jetzt persönlich kennen gelernt, kannte sie aber als Schauspielerin aus mehreren Filmen (Idil Üner spielte Rollen in den Kinofilmen "Dealer", "Im Juli",  "Evet, ich will!" und der ARD-Kriminalfilmreihe "Mordkommission Istanbul" – Anm. d. Red.) und habe nur gedacht: Die ist klasse, die wäre die richtige Besetzung, vom Alter her, von der Körperlichkeit und ihrem Witz. Als ich den Anruf der Regisseurin bekam und sie mir sagte, dass sie sich für Idil Üner entschieden haben, bin ich fast in Ohnmacht gefallen. Ich weiß es noch genau, ich war im Bus in Istanbul und habe geschrien. Ich fand das so witzig, ein Traum wurde wahr. Sie spielt das göttlich.

Hatten Sie Mitspracherecht bei der Auswahl der Schauspieler, Kulissen, Drehorte etc.?
Das nicht. Da ich mit der Regisseurin befreundet bin, hatten wir bei der Entwicklung aber regen Austausch und haben uns überlegt, wie man gewisse Dinge umsetzen kann. Ich finde, dass es das perfekte Team war: Produktion, Regisseurin, Drehbuchautorin, Hauptdarsteller. Wenn ich die Frage beantworten müsste, was ich mir anders vorgestellt hätte, gäbe es nichts. Nur eine Fortsetzung würde ich mir wünschen.

ab 12. Juni 2014 im Kino
Regie: Buket Alakus
im Verleih von NFP
mit Idil Üner, Adnan Maral, Şiir Eloğlu, Steffen Groth, Sesede Terziyan, Julia Dietze, Demet Gül und Max von Thun