Interview: Julia Reich
Trotz der stahlblauen Augen empfängt mich ein ganz normaler junger Mann, dem man anmerkt, dass er für seinen Durchbruch hart arbeiten musste. Unbefangen erzählt er von der Realität als junger Schauspieler und erklärt, wie man dem Zufall auf die Sprünge hilft.

Tom, welche Gemeinsamkeiten gibt es zwischen dir und deiner Rolle des Rob Cole?
Tom Payne: Rob ist jemand, der gern das Gute in seinen Mitmenschen sieht und versucht, ihre Beweggründe zu verstehen. Ich glaube, dass das eher zu einem glücklicheren Leben beiträgt, als andere Menschen ständig in Gut und Böse einzuteilen. Ich versuche mein Leben möglichst genauso zu gestalten.

Bist du auch so neugierig und wissbegierig wie Rob?
Ja, das bin ich. Ein Teil von mir wollte schon immer von Zuhause weg, um zu lernen, zu reisen und Erfahrungen zu machen. Da gibt es also definitiv Gemeinsamkeiten.

Glaubst du, Neugier ist wichtig, um erfolgreich sein zu können?
Auf jeden Fall! Ich denke, man sollte anderen Leuten und ihrer Lebensweise stets offen gegenüber stehen und versuchen zu verstehen, weshalb sie sich anders verhalten als man selbst. So kann man sich weiterentwickeln, anstatt immer an den gleichen Sichtweisen festzuhalten. Wer neugierig ist, ist auch bereit, seine Meinung zu ändern - daher ist Neugier auf jeden Fall wichtig.

War es also auch für dich hilfreich, neugierig zu sein?
Absolut. Ich fand es immer spannend zu beobachten, wie Leute manche Sachen auf eine ganz andere Weise erledigen als ich, denn es gibt keinen richtigen und falschen Weg. Man sollte sich auch mit anderen Lebensweisen als seiner eigenen befassen.

Wie hast du dich auf deine Rolle vorbereitet?
Ich habe natürlich das Drehbuch gelernt…  (überlegt) Und ich habe Reitstunden genommen.

Hat das Spaß gemacht?
Sehr sogar. Eigentlich gab es keine richtige Vorbereitung, schließlich wissen wir heutzutage doch gar nicht mehr, wie es war, im Mittelalter zu leben. Mir war aber wichtig, aus Rob einen interessanten Charakter zu machen. Er ist eine Art Archetyp, sehr rein und unverfälscht. Am wichtigsten war mir, seine Beweggründe deutlich zu machen und zu zeigen, dass er das Herz am rechten Fleck hat. Er hat als kleiner Junge seine Mutter verloren und konnte nichts dagegen unternehmen. Das ist der Ausgangspunkt für den Charakter und das, was ihn antreibt.

Du sagst, dass du sehr risikofreudig bist. Wie wichtig ist es, Risiken einzugehen, um erfolgreich zu sein?
Sehr wichtig. Im Leben setzt du quasi ständig auf dich selbst. Deshalb sollte man immer an sich und seine Fähigkeiten glauben, anstatt auf Unterstützung und Ermutigung durch andere zu warten. Wenn man weiß, wozu man imstande ist und wozu nicht, kann man seine Fähigkeiten austesten und das Beste aus sich herausholen. Genauso ist es beim Schauspielern. Ich habe gerade ein neues Projekt begonnen, und wenn ich dieses Jobangebot nicht bekommen hätte, wäre ich jetzt pleite und würde in einer Bar arbeiten. Ich bin ein großes Risiko eingegangen, indem ich andere Angebote abgelehnt habe, die mir nicht gefielen und darauf hoffte, dass etwas Passendes kommen würde. Und so ist es jedes Mal. Das gilt nicht nur für Schauspieler, sondern auch für alle anderen Berufe: Wenn man an sich glaubt und sich traut, etwas zu riskieren, wird sich schon alles zum Besten wenden.

Also rätst du jedem dazu, risikofreudig zu leben?
Definitiv sollte man Risiken eingehen, aber natürlich nur, wenn die Umstände es erlauben. Menschen hören auf, etwas zu riskieren, wenn andere involviert sind, wie ihre Ehefrauen oder Kinder. Da ich noch nicht in dieser Lage bin, kann ich viel riskieren, schließlich bin ich nur für mich selbst verantwortlich. Für andere ist das schwieriger. Trotzdem lautet mein Rat: Wenn du ein Jobangebot im Ausland bekommst, nimm es an, denn solche Erfahrungen sind sehr wertvoll.

Rob wird nur durch Zufall in der Schule des großen Medicus Ibn Sina aufgenommen, nachdem er zusammengeschlagen und ins Krankenhaus gebracht wird. Glaubst du, Erfolg ist immer auch Zufall?
Nicht immer, aber Zufall spielt eine große Rolle. Den kann man auf gewisse Weise aber auch selbst einfädeln, indem man sich in eine Lage begibt, in der glückliche Zufälle wahrscheinlicher sind. Letztendlich geht es darum, ja zu sagen und offen zu sein. In meinem Leben gab es oft Momente, in denen ich mir dachte: "Och nö, ich habe keine Lust auf diese Party heute Abend  oder darauf, diese bestimmte Person zu treffen", aber dann habe ich mich zusammengerauft und mir gesagt: "Nein, du gehst da jetzt hin." Ich war jedes Mal überrascht, denn ich habe tolle Leute kennengelernt, die mit mir zusammenarbeiten wollten oder mit denen ich heute befreundet bin. Man sollte also immer ja sagen und allen Möglichkeiten offen gegenüberstehen, denn alles kann passieren.

Du hast mal gesagt, dass man sich in der Realität als Schauspieler seine Rollen nicht aussuchen kann – sondern sie dich aussuchen. Muss man also alles so nehmen, wie es kommt?
Nicht ganz, genau das wollte ich eben ausdrücken. Ich habe aus dem Medicus eine Menge herausgeholt, denn der Film ist gut gelaufen und daher befand ich mich danach in einer besseren Position. Einige Jobangebote habe ich dann abgelehnt oder bin nicht zum Vorsprechen gegangen, weil sie mich nicht interessiert haben. Als ich jünger war, war das anders. Als junger Schauspieler nimmt man jedes Rollenangebot an, schließlich braucht man die Erfahrung. Wenn man stattdessen nur herumsitzt und seine Chancen nicht nutzt, rostet man ein, das ist natürlich nicht hilfreich. Vor meinem jetzigen Job habe ich zuletzt vor einem ganzen Jahr gearbeitet und ich genieße es, wieder dabei zu sein. Wenn man nach so langer Zeit wieder anfängt, ist das zunächst ein wenig beängstigend, aber das legt sich schnell und die Arbeit macht wieder Spaß. 

Wenn alles nur Zufall wäre, wäre es wohl auch schwierig, überhaupt Einfluss auf seine Karriere zu nehmen…
Das ist die andere Seite der Medaille: Als Schauspieler wartest du quasi ständig darauf, dass jemand dir einen Job anbietet. Man hat zwar Vorsprechen und geht zu jedem Casting, um Eindruck zu machen. Tatsächlich wartet man aber nur darauf, dass endlich jemand ja sagt. Ich interessiere mich auch für andere Bereiche, werde wahrscheinlich weiterhin schauspielern, aber auch anfangen, Regie zu führen und zu produzieren. Da hat man viel mehr kreativen Spielraum. In letzter Zeit hab ich viele Leute kennengelernt und gefragt, was sie von einer Zusammenarbeit halten, anstatt zu sagen: "Bitte, gib mir einen Job." (lacht) Ich bin jetzt 31, ich will nicht mein Leben lang nach Jobs betteln müssen, das ist nicht schön.

Du hast schon in der Schule geschauspielert, hast dann die London’s Central School of Speech and Drama besucht und mit dem BA abgeschlossen. Hast du schon immer darauf geachtet, deine Karriere zu planen und früh die richtigen Grundsteine zu legen?
Mit 16 war ich extrem ehrgeizig und selbstbewusst. Ich war mir sicher, ich würde die Theaterschule besuchen und Schauspieler werden. Es gab für mich nicht den Hauch eines Zweifels, wie sich mein Leben entwickeln würde – und so ist es tatsächlich passiert. Ich weiß, dass da noch viele andere Dinge hineingespielt haben, aber wenn man an sich selbst glaubt und von sich überzeugt ist, strahlt das auch nach außen und die Leute glauben dir. Dann kann alles gut laufen, selbst wenn du nicht der beste Schauspieler bist. Ich war früher ganz anders als jetzt, aber ich habe es geschafft, durfte den Medicus drehen und kam dann an diesen merkwürdigen Punkt, an dem ich alles getan hatte, was ich mir als Schauspieler vorgenommen hatte: Ein Stück auf dem West End, eine Fernsehshow, eine große Hauptrolle. Nun hatte ich meine Hauptrolle und habe mich gefragt: Mist, was mache ich jetzt? Inzwischen bin ich eher an einer weniger linearen Laufbahn interessiert, anders als damals. Ich bin erst 31 und mein Leben entwickelt sich, aber so etwas muss man in seinen Zwanzigern erstmal herausfinden… Die Zwanziger sind eine ganz seltsame Zeit, in der man nicht genau weiß, was richtig und falsch für einen ist. Ich hatte Glück, dass mich mein Ehrgeiz durch diese schwierige Zeit getrieben hat. Inzwischen ist meine Arbeit interessanter, ich habe mich als Person entwickelt und sehe langsam auch meinem Alter entsprechend aus. Dadurch bekomme ich spannendere Rollenangebote. Ich habe lange immer nur den jugendlichen Typen gespielt und das ist nicht die beste Rolle, die man sich als Schauspieler vorstellen kann.

Als Hauptdarsteller von Der Medicus hast du eine große Verantwortung für den Erfolg des Films getragen. Wie bist du mit diesem Druck umgegangen?
Am Anfang hatte ich wirklich Angst, weil ich so etwas vorher noch nie gemacht hatte, auch vom Physischen her nicht. Wir haben dreieinhalb Monate lang jeden Tag gedreht und ich wusste nicht, wie das gehen soll. Dann ist da noch das gewaltige Drehbuch und die Szenen werden durcheinander gefilmt. Ich habe also ältere Schauspieler um Rat gefragt und viele Tipps von einem Schauspiellehrer bekommen. Die ersten vier Wochen habe ich mit Stellan (Skarsgård, Anm. d. Red.) gedreht, der wie ich auf eine sehr intuitive Weise arbeitet. Das hat mein Selbstvertrauen gestärkt und ich war dreieinhalb Monate mit Spaß bei der Sache. Am besten gefällt mir, dass man jeden Tag mit der gleichen Crew arbeitet und alle zu einer Art Familie zusammenwachsen. Normalerweise ist man bei einem Schauspieljob nur ein paar Tage dabei und verpasst den meisten Spaß. Als Hauptdarsteller kann man dagegen den Grundton für die gesamte Produktion setzen. Ich war immer fröhlich, habe gelächelt, das macht es für alle gleich viel angenehmer. Diese Rolle habe ich sehr genossen.

Du hast bereits vorher mit berühmten Schauspielern wie Dustin Hoffmann oder Amy Adams zusammengearbeitet und jetzt sogar mit Sir Ben Kingsley. Auch in anderen Berufen kommt man in ähnliche Situationen, arbeitet mit erfahrenen, erfolgreichen Persönlichkeiten. Viele schüchtert das ein. Was empfiehlst du, wie man sich in solchen Situationen verhalten sollte?
Was das angeht, ist die Schauspielerei wohl doch ein bisschen speziell, denn Schauspieler werden nie ganz erwachsen. Sie probieren ihr Leben lang neue Masken an, diese spielerische Natur muss man einfach haben. Auf eine seltsame Weise ist dann jeder gleich weit. Natürlich kann man manchmal nichts dagegen tun, man bewundert die Älteren und Erfahrenen und lernt von ihnen. Aber ich glaube nicht an eine Hierarchie am Set, niemand steht über den anderen, egal, wer es ist und was derjenige schon erreicht hat. Das ist sehr wichtig für die Zusammenarbeit, denn man erschafft hier gemeinsam etwas. Am Set sind alle gleich. Ich habe großes Glück gehabt, dass ich bisher niemanden getroffen habe, der wirklich überheblich gewesen wäre. Es war eine tolle Erfahrung mit all diesen Leuten.

Du bist jetzt 31. Was möchtest du erreichen, bis du 40 bist?
(überlegt) Ich habe keine Ahnung! Es ist alles offen, ich habe noch keine festen Ziele. Das ist ein bisschen komisch für mich, denn in meinen Zwanzigern hatte ich mir meinen ganzen Weg zurechtgelegt und nun warte ich einfach ab, was auf mich zukommt. Das ist irgendwie schön, Dinge ergeben sich und ich beschreite neue Wege. Bis ich 40 bin, möchte ich aber bei einem Film Regie führen und vielleicht auch produzieren. Mich einfach in unterschiedliche Richtungen entwickeln… Und ich werde wieder mit dem Singen anfangen (lacht). Ja, auf jeden Fall wieder singen.

 

Der Medicus

DVD und Blu-ray ab sofort im Handel

Regie: Philipp Stölzl
im Verleih von Universal Pictures International Germany
mit Tom Payne, Stellan Skarsgård, Olivier Martinez, Emma Rigby, Elyas M’Barek, Fahri Yardim und Sir Ben Kingsley