Natalia trägt ein schwarzes Minikleid und eine in der Taille gebundene Bluse. Über ihrer Schulter hängt eine kleine schwarze Tasche. Die dunkle Sonnenbrille hält ihre Haare zurück, während sie eine Marmor-Wendeltreppe des Quartier 206 in Berlin runtergeht. Sie geht aufrecht und wirft einen Blick auf die gegenüberliegenden Boutiquen. Die Kamera schwenkt, um ihr ganzes Outfit für das YouTube-Video zu erfassen. Was wir nicht sehen: ihre gerade Haltung hat einen Grund. Natalia hat Skoliose.

Skoliose ist "eine C- oder S-förmige Verbiegung der Wirbelsäule, wenn man diese von vorne anschaut.", erklärt Dr. med. Rolf Christophers, Chefarzt der Abteilung für Wirbelsäulen- und Neurochirurgie im Tabea Krankenhaus in Hamburg. Wie stark die Wirbelsäule verkrümmt ist, messe man halbjährlich beim Röntgen. "Wenn der Winkel unter 20 Grad ist und auch nicht zunimmt, ist Krankengymnastik die typische Behandlung. Wenn er zunimmt, würde man ab 20 Grad mit einer Korsettversorgung beginnen. Zwischen 40 und 50 Grad muss man über eine OP nachdenken."

"Wir tragen Verantwortung"

Auch Natalia trägt so ein formendes Korsett aus Plastik, damit ihre Wirbelsäule sich nicht weiter verkrümmt und für Schmerzen und Langzeitschäden sorgt. Ihr Korsett hat ein Leopardenmuster, das ihrer besten Freundin Hannah ein Zebramuster. Die beiden 18-jährigen lernten sich über ein Skolioseforum kennen. "Ich habe da einen Eintrag von Hannah gelesen und mich selbst total wiedererkannt. Dann habe ich sie angeschrieben, der Stein kam ins Rollen und jetzt sind wir seit viereinhalb Jahren befreundet", erzählt die 18-jährige. Vor zwei Jahren starteten die beiden Berlinerinnen ihren YouTube-Channel "Die Korsisisters". Dort laden sie Videos hoch, die zeigen, wie man im Sommer das Korsett kaschieren kann, welche Rehakliniken empfehlenswert sind und was bei einem Skoliosetreffen passiert. "Wir haben damit angefangen, weil es auf YouTube nichts Vergleichbares gab. Alle Videos zu Skoliose haben uns eher heruntergezogen statt aufgebaut", beschreibt Hannah die Anfangsphase. Sie wollten zeigen, dass man auch mit Skoliose normal leben kann. Damit erreichen die beiden über 2.000 Menschen. "Wir tragen eine gewisse Verantwortung. Immer mehr Menschen schreiben uns an und abonnieren den Kanal. Das macht mich glücklich und stolz zugleich", so Natalia. Jetzt sind die beiden Ansprechpartnerinnen für andere Betroffene. Früher sprach Natalia nicht mal mit ihren Freundinnen über die Krankheit.

Mobbing wegen Skoliose

Sie bekam ihre Diagnose mit sieben Jahren und trug das Korsett bis vor kurzem, also rund elf Jahre lang. "Irgendwann hat dann anscheinend jemand das Korsett hervorblitzen sehen, weil es ja auch ein bisschen länger geschnitten ist und zum Teil über das Becken und bis unter die Arme geht. Dann kam in der Pause eine ganze Jungsbande auf mich zu gerannt und die haben mir das Hemd hochgezogen", berichtet Natalia von dem Erlebnis, das ihre Krankheit öffentlich machte. Über dieses Mobbing gegen Skoliosebetroffene sprechen die beiden auch in einem ihrer Videos. Hannah rät, sich immer wieder bewusst zu machen, dass man etwas für die eigene Gesundheit tut, indem man das Korsett trägt und später stolz auf sich sein kann, weil man die Wachstumsphase genutzt hat. Damit treffen die beiden einen Nerv: Sie bekommen täglich Nachrichten mit Lob: "Da füllt sich unser Herz mit Glückseligkeit!", sagt Hannah. Sie war bereits dreizehn Jahre alt als sie das Korsett bekam. Damals sei ihr Umfeld sehr unterstützend gewesen. Klar hätte es auch dumme Kommentare gegeben, aber die meisten hätten eher Fragen gestellt. Da sagt Hannah immer: "Das Korsett ist wie eine Zahnspange für den Rücken. Andere haben schiefe Zähne, wir haben einen schiefen Rücken." Das verstünden die meisten und verwechselten es nicht mehr mit dem modischen Korsett.

Was ein Außenstehender nicht weiß

Wenn einem eine nahestehende Person so etwas erzählt, sollte man vor Allem Verständnis haben "und nicht sagen Ja, ich habe auch manchmal Rückenschmerzen", rät Hannah. Außerdem sei es als Betroffene wichtig, zu wissen, dass man nicht die Einzige ist. Deshalb sei es hilfreich, mit der Person zusammen nach Gruppen und Foren für ebenfalls Betroffene zu suchen. Die Eltern sollten auch nach den besten Ärzten und Behandlungsmöglichkeiten gucken. Dazu gehört laut Dr. Christophers unter Umständen auch ein Aufenthalt in einer Reha-Klinik. "Dort werden spezielle Physiotherapieübungen vermittelt, die die Patienten später alleine machen können." Die seien wichtig, um die Muskulatur zu stärken. Trotzdem sei das Korsett nötig, um die Verkrümmung zu korrigieren. Den Erfolg messe man regelmäßig mit Röntgenaufnahmen. Dass die Korsetttherapie nicht hilft, komme nur in seltenen Fällen vor. "Heilen kann man die Skoliose nicht. Erfahrungswerte aus Studien sagen aber, dass man ohne größere Probleme mit einer Skoliose sehr alt werden kann, wenn die Verkrümmung bis zum Wachstumsabschluss auf einem möglichst geringen Winkel gehalten wird", betont der Arzt.

"Einige Sachen musste ich neu erlernen"

Hannah findet: "Dennoch sollte man der Person auch signalisieren, dass sie trotz Allem normal weiterleben kann – und genau dazu muss man sie ermutigen anstatt Leid zu betonen." All das hilft einer Person, die von Skoliose betroffen ist. Gerade die Anfangsphase ist nämlich schwer. Der Körper müsse sich erstmal daran gewöhnen, nicht mehr viele Bewegungsmöglichkeiten zu haben. Dazu sei es hilfreich, die Tragezeiten langsam zu steigern. "Mit dem Korsett musste ich einige Sachen neu erlernen, wie Schuhe anziehen. Außerdem konnte ich nicht schnell rennen und habe deswegen so einige Male den Bus verpasst", erinnert sich Natalia. Außerdem musste sie sich seelisch mit dem Korsett abfinden. "Ich habe mich gegenüber Gleichaltrigen nicht unbedingt normal gefühlt. Das Korsett zu tragen, erfordert sehr viel Disziplin. Die bringt man nicht einfach so auf."

Vom YouTube-Video ans Rednerpult

Um anderen dabei zu helfen, genug Disziplin aufzubringen, sprechen Hannah und Natalia auch bei Veranstaltungen wie dem Skoliosetag des Bundesverbandes Verbandes Skoliose. Außerdem beteiligten sie sich an der Kampagne #wireinander. "Mittlerweile haben wir auch eine große Reichweite unter Jugendlichen mit Skoliose. Das ist natürlich für Verbände sehr interessant, weil wir auf Veranstaltungen aufmerksam machen können. Demnächst sind wir Ende November zum Beispiel im Krankenhaus Tabea in Blankenese", sagt Hannah. Am Anfang hätten sie einfach YouTube-Videos gemacht und nicht damit gerechnet, dass so viel daraus entsteht. Als nächstes sind die beiden als Referentinnen beim ersten Skoliosetag in Hamburg. Natalia macht im kommenden Jahr ihr Abitur, Hannah befindet sich im FSJ. Was die beiden in Zukunft machen wollen, steht noch nicht ganz fest. Weitermachen wollen die beiden trotzdem. Hannah dazu: "Wir wollen zeigen, dass aus der Skoliose auch gute Sachen entstehen, wie unsere Freundschaft beispielsweise, und dass man mit dieser Erkrankung als Jugendliche nicht allein ist."