Interview mit einer Grundschullehrerin: „Kinder lernen lesen und schreiben, egal in wessen Klasse sie sind“
Das Kind kommt zur Schule und plötzlich ist alles anders. Oder doch nicht? Was muss ich überhaupt tun, wie soll ich mich verhalten - als Mutter, Vater, Großeltern? Was braucht mein Kind? Einen von diesen Hackenporsche-Schulranzen, weil die Bücher so schwer sind? Braucht es Buntstifte oder Filzstifte oder beides? Und wie kann ich sichergehen, dass es auch die richtigen Dinge lernt und dass es nicht zu der blöden Lehrerin kommt, die schon den Nachbarskindern das Leben schwer gemacht hat? Ingrid Koch (Name aus Datenschutzgründen von der Redaktion geändert) ist Grundschullehrerin in einer norddeutschen Kleinstadt. Mit amicella hat sie über die größten Fehler gesprochen, die frisch gebackene Schulkindeltern machen.
Interview: Alexandra Bersch
amicella: Was ist denn das Unnötigste und Störendste, was Eltern ihren Kindern zur Schule mitgeben?
Ingrid Koch: Glitzergelstifte, Fußballsammelkarten, sowas. Die werden nur geklaut oder es gibt Streit darum. Oder Federtaschen, die mehr Fächer haben als zwei. Eine einfache Federtasche mit Reißverschluss zum Aufklappen ist optimal. Sonst verbringen die Kinder die ganze Stunde damit, ihre Filzstifte und Buntstifte und alles andere darin zu sortieren. Es ist auch ratsam, sich vor dem Schulanfang mit Klebestiften, Bleistiften, roten und blauen Buntstiften und Heften zu bevorraten. Vor Beginn des neuen Schuljahres sind diese überall im Angebot und besonders günstig.
Warum denn rote und blaue Buntstifte?
Weil die Kinder die in der ersten Zeit am meisten brauchen. In Mathe malt man immer mit rot oder blau und in Deutsch, wenn man Silben schreibt, auch. Und Klebestifte braucht man im ersten Schuljahr besonders viele. Weil sie noch nicht so viel mit Schreiben machen, sondern ganz viel mit Ausschneiden, zuordnen und aufkleben.
Was ist mit Schulranzen auf Rollen? Irgendwann kamen die ja mal auf.
Die sind für den Rücken sehr ungesund, also besser keinen kaufen. Wenn Kinder die ziehen, gehen sie sehr einseitig. Das Beste für Schulanfänger ist wirklich ein richtiger Tornister. Kein Rucksack, sondern ein echter Ranzen, der auch richtig eingestellt ist.
Und was ist mit der Schultüte? Was sollte da bestenfalls drin sein?
Da kann man nicht so viel sagen. Ich habe ja sowieso ein Schultüten-Trauma. Meine Brüder hatten ganz tolle, selbstgebastelte Schultüten und als ich eingeschult wurde, hatten wir so einen ganz fortschrittlichen Lehrer und alle mussten die gleiche Schultüte mit der gleichen Füllung haben. Da waren dann ein Apfel, ein Bleistift von der Volksbank und allerlei so pädagogisches Zeug drin (lacht). Aber das mit der Schultüte wird ja auch überall anders gehandhabt. Manchmal haben Kinder sie die ganze Zeit dabei, manchmal nur für die Fotos.
Inwieweit haben Eltern denn ein Mitspracherecht, wenn es um die Gestaltung des Schulalltags geht? Es gibt ja Mütter, die sich engagieren und mitentscheiden wollen.
Das höchste Gremium der Schule ist der Schulvorstand, der besteht zur Hälfte aus Lehrern und zur Hälfte aus Eltern und entscheidet alles. Wenn man wirklich etwas machen will, sollte man dahin gehen. Wir hatten letztens eine Schulvorstandssitzung, in der wir etwas ganz weltbewegendes entschieden haben – nämlich dass wir die Hausaufgaben abschaffen und dafür eine Zusatzstunde verpflichtend für alle Kinder einführen. Anwesend bei dieser Entscheidung waren fünf Lehrkräfte und ein Elternteil. Da sieht man, wie ernst die das nehmen (zuckt mit den Schultern). Dann gibt es die Schulelternratssitzungen, in denen die Elternsprecher sitzen, für die Fächer gibt es Sprecher, die in den Fachkonferenzen sitzen, Fördervereine gibt es – ganz wichtig! Es gibt eine ganze Menge, was man machen kann und bei dem uns immer die Leute fehlen. Brötchenmütter gibt es zum Beispiel für das Frühstück. Und Lesepaten, die die Kinder beim Lernen unterstützen. Aber da saßen bei uns dann wieder nur die oberen Zehntausend und haben geguckt, wie sich die "Sozialfälle" anstellen, so dass wir gesagt haben, das machen wir nicht mehr, wir nehmen nur noch ehrenamtliche Großeltern für diese Aufgabe. Eigentlich ist jede Lehrkraft dankbar, wenn sie Unterstützung hat, sei es bei Theaterausflügen, beim Kekse backen oder bei der Vorbereitung der Weihnachtsfeier.
„Die Schulleitung hat immer das letzte Wort“
Aber gibt es denn Eltern, die sagen: „Ich mache jetzt hier mit, weil ich bestimmte Dinge und bestimmte Werte durchsetzen will.“?
Ganz wenig. Aber wie gesagt – dafür kann man sich in den Schulvorstand wählen lassen und es dort versuchen. In Niedersachsen gibt es nichts Höheres, dort wird alles entschieden. Aber dir kann ich ja sagen, wie es ist: Am Ende können wir Lehrer immer alles kippen. Wenn es vier zu vier steht, hat die Schulleitung immer das letzte Wort. Die Schulleitung entscheidet, was wir unterrichten, wo wir unterrichten und welche Kinder wir unterrichten. Schulleitungshoheit nennt sich das.
Das klingt jetzt so, als sollten die Eltern am besten gleich zur Schulleitung gehen, wenn sie etwas wollen…
Nein, auf gar keinen Fall! Sie sollen ihren Mund halten und das machen, was man ihnen sagt.
Das ist also das Fazit? Es gibt doch wirklich viele Eltern, die an allem rummeckern. Die sagen: „Mein Kind ist in der falschen Klasse mit den falschen Kindern und lernt die falschen Sachen, ich möchte das nicht.“ Und einige gehen dann zur Schulleitung und versuchen, etwas auszuhandeln – nicht selten auch mit finanziellen Mitteln.
Ja. Aber das zieht in Niedersachsen nicht. Das geht wirklich nur an einer freien Schule, nicht an einer staatlichen. Was wir oft haben ist aber, dass die Eltern sagen. „Mein Kind ist sonst so lieb und nett und jetzt nicht mehr, das muss alles in den letzten paar Wochen in der Schule passiert sein und die Schule ist schuld.“ Ich sage dann zu den Eltern: „Hat Ihr Kind vorher auch schon gelebt?“ Wir haben alle einen Erziehungsauftrag, die Eltern und die Lehrer. Aber unser Erziehungsauftrag kann nicht der der Eltern sein oder andersrum. Wir haben nicht nur zwei Kinder, sondern 20 und können nicht so auf sie einwirken. Deshalb ist es für uns sehr wichtig, zu wissen, wie bestimmte Dinge zu Hause gehandhabt und gelebt werden. Da geht es auch um Offenheit, dass man über bestimmte Dinge informiert wird und dann nicht aus heiterem Himmel auf Klassenfahrt feststellt, dass das Kind eingenässt hat. Es muss vor allem in den ersten Jahren ein Austausch zwischen Eltern und Lehrern stattfinden.
Können Eltern eigentlich beeinflussen, in welche Klasse und zu welcher Lehrkraft das Kind kommt?
Nein, aber sie wollen es. Und wenn du als Schulleitung nett und freundlich bist und keinen Ärger willst, dann versuchst du, den Eltern entgegenzukommen. Ich war früher an einer Schule, an der für die ersten Klassen vier Klassenlehrerinnen mit unterschiedlichen Unterrichtsmethoden zuständig waren. Die eine hat Montessori gemacht, die andere Werkstattunterricht nach Reichen, eine hat ganz klassisch unterrichtet. Und unsere Schulleiterin hat gesagt: „Jede von euch unterrichtet so, wie sie es will – denn nur dann könnt ihr richtig und gut arbeiten. Die Kinder lernen lesen und schreiben, egal in wessen Klasse sie sind.“ Wir haben die Klassen dann eingeteilt und da konnte kein Elternteil sagen, was oder wen es möchte und wen nicht. Es gab auch ein Zwillingspaar und die kamen in verschiedene Klassen, da mussten die Eltern halt durch und beide haben prima gelernt und das ist doch das Wichtigste. Und nur, weil einem irgendwie die Nase nicht passt, kann man nicht einfach in die Schule gehen und versuchen, die Klassenzuteilung des Kindes zu beeinflussen. Sogar wenn man die Lehrkraft über ein anderes Kind schon kennt – Menschen können sich in vier Jahren verändern und nur weil das eine Kind nicht so gut mit der Person klarkam, muss es beim zweiten nicht auch so sein, es ist ja eine ganz andere Persönlichkeit. Ich rate davon ab, irgendwie Einfluss darauf nehmen zu wollen. Und wo wir schon bei diesem Thema sind: Eltern sollten sich besonders davor hüten, in Gegenwart ihres Kindes schlecht über die Klassenlehrerin oder den Klassenlehrer zu reden, denn Kinder kriegen alles mit und wenn sie von Zuhause das Signal haben: Die ist doof!, und fünf Stunden am Tag mit der Person verbringen müssen – das ist seelischer Notstand für das Kind! Es ist nur wichtig, dass das Kind mit der Lehrerin klarkommt.
„Ich würde den Eltern zu mehr Gelassenheit raten“
Was ist denn der größte Fehler, den Eltern bei der Vorbereitung ihres Kindes auf die Einschulung und überhaupt die Schule machen?
Sie stressen es! „Pass schön auf, sitz still, hör zu, verhalte dich ruhig! Weißt du schon wieder nicht, was du machen sollst? Das ist doch jetzt der Ernst des Lebens! Warum hast du das nicht aufgeschrieben? Hat dir das keiner gesagt?“ Ich würde den Eltern einfach zu mehr Gelassenheit raten, ihren Kindern und der Situation gegenüber. Sie sollten auch keine zu hohen Erwartungen haben. Es kommt alles von alleine. Aber das Problem ist ja, dass Eltern nun mal sind, wie sie sind und jeder ist mal zur Schule gegangen und hat seine Erfahrungen gemacht und denkt, er kann jetzt urteilen. "Früher war das aber so…“ und „Bei mir war das ja alles noch ganz anders…“ – das geben sie dann an ihre Kinder weiter und diese weinen dann am ersten Schultag, weil sie die Toilette nicht finden.
Ich habe kein Wort verstanden an meinem ersten Schultag. Und war total overdressed, weil meine Eltern es aus ihrer Heimat so kannten.
Das haben wir auch immer wieder mal. Letztens kam die Schulleitung und meinte: „Katastrophe! Wir haben ein Kind, das spricht gar kein Deutsch! Das kommt da einfach!“ Wir haben dann gesagt: „… und wo ist das Problem? Davon haben wir zehn.“
Aber macht man nicht deswegen diesen Sprachtest ein Jahr vor der Einschulung, zu dem ausnahmslos alle Kinder hinmüssen? Damit sie wirklich Deutsch sprechen können, wenn sie eingeschult werden?
Schon, aber wenn die Familie in den Ferien vor der Einschulung erst herzieht oder das Kind einfach nicht an der Sprachförderung teilnimmt?
Ist das nicht verpflichtend?
Ja, aber ist das Verfahren durch, kümmert sich auch keiner mehr drum.