Autorin Sophie van der Stap hat ihrem Krebs voller Mut und unbändigem Lebenswillen den Mittelfinger entgegen gestreckt – und ihn besiegt. Das Schreiben hat ihr geholfen, mit diesen Erfahrungen fertig zu werden. Und jetzt kommt die Verfilmung ihres Debüt-Romans "Heute bin ich blond" in die Kinos. Im Rahmen der Premiere hat sie mit uns über ihren Lebenswillen, ihre ehemals treuen Begleiter - die Perücken - und die Gegenwart gesprochen.

Interview: Charlotte Isabel Schwarck

Heute ist die Premiere in Hamburg - wie ist es für dich, deine eigene Geschichte verfilmt zu sehen? Erkennst du dein eigenes Leben in dem Film wieder?

Sophie van der Stap: Ja sicher, für Marc Rothemund (Regisseur, Anm. d. Red.) war es ganz wichtig, die authentische Geschichte zu behalten. Ich erkenne ganz viel wieder, manches bis ins kleinste Detail. Viele Monologe und Witze sind wie im Original. Mein Vater zum Beispiel ist sehr ähnlich, das war schon ein bisschen komisch zu sehen. Natürlich ist die Wohnung nicht unsere, aber die Emotionen in vielen Szenen erkenne ich wieder. Natürlich gibt es ganz viele Momente im Film, die mir ganz nah gehen, bei denen ich weinen oder lachen muss und die Zeit einfach wieder in mir hochkommt und ich es wieder spüre. Aber Lisa (Darstellerin Lisa Tomaschewsky, Anm. d. Red.) spielt es toll!

Für deine Eltern war das sicherlich auch schwer, standen sie immer hinter dem Film und haben dich unterstützt?

Meine Eltern haben mich immer unterstützt, sie sind einfach ganz stolz auf mich. Dass ich die Krankheit besiegt habe, ist unser Erfolg. Der Film zeigt unsere Art des Lebens und wie wir es geschafft haben, damit umzugehen. 

Ist es komisch für dich, dass der Film jetzt in Deutschland spielt? Er hätte ja auch in deiner Heimatstadt spielen können...

Hätte er, aber ich glaube, dass es so besser für mich ist. Für Außenstehende ist es einfacher, das mit einer gewissen Distanz zu sehen. Diese Geschichte ist so persönlich und dadurch, dass sie nicht in den Niederlanden spielt, sondern hier in Deutschland, habe ich einen gewissen Abstand dazu.

"Meine Geschichte öffentlich zu machen, war für mich ein Weg um zu existieren"

Inwiefern hat dir das Buch "Heute bin ich blond" geholfen, deine Erfahrungen zu verarbeiten? Und was hat dich damals motiviert, deine Geschichte öffentlich zu machen?

Das Schreiben habe ich nicht gewählt, das ist einfach zu mir gekommen in dem Moment. Vor der Krankheit hatte ich mein Studium und meine Jobs, ich brauchte also etwas, an dem ich arbeiten konnte. Meine Geschichte öffentlich zu machen, war für mich ein Weg um zu existieren und um etwas zu tun, was mir eine Verbindung zu dem „normalen“ Leben ermöglicht und mir Anerkennung gibt. Beim Schreiben ist die Veröffentlichung die Anerkennung, dafür braucht man keinen Bestseller zu schreiben. Ich habe nie gedacht, dass das so ein großer Erfolg wird. 

Kannst du dir denn auch vorstellen, einmal ein Drehbuch für einen Film zu schreiben? 

Ja, auf jeden Fall. Ich fand es toll mit Leuten in einem Team zu arbeiten, beim Schreiben arbeite ich ja sonst immer alleine. Ich finde es eine ganz schöne Art mit einem Film eine Geschichte zu erzählen. Heute habe ich wieder eine Geschichte im Kopf, für einen Roman den ich schreiben will. Wer weiß, vielleicht wird auch ein Film daraus. 

Auch wieder für einen deutschen Film oder lieber für einen anderen?

Ich denke für einen französischen, ich mag das französische Kino sehr gerne und ich wohne dort in Paris, deswegen möchte ich auch gerne dort etwas machen. Aber das ist alles noch weit weg, ich muss es erst noch schreiben.

Zurzeit lebst du in Paris, in deiner Traumstadt, fühlst du dich so als wärst du angekommen?

Nein, aber das gibt es nicht, denke ich. Man ist immer auf der Suche, man kommt mit Erwartungen in eine Stadt und vier Jahre danach hat man immer noch Erwartungen. Ich weiß noch nicht wie lange ich dort bleibe, ich nehme das Leben, wie es kommt.

Warst du oft bei den Dreharbeiten am Set? Eine ganz kleine Rolle hast du ja auch in dem Film...

Ich war zweimal am Set. Bei meiner sehr kleinen Rolle habe ich den Einsatz dreimal verpasst (lacht), aber das war toll. Als ich am Set war, die vielen Leute sah und die Campvans für die Schauspieler mit den ganzen Namen - Sophie, Rob, Saskia, Annabel - musste ich erst einmal schlucken. Den Moment habe ich plötzlich persönlich genommen. Da spürte ich auf einmal, wäre ich nicht krank gewesen und hätte geschrieben, wäre alles das nicht da. Aber trotzdem war es schön in einer Art und Weise.

"Manchmal will man mehr ein Mädchen sein und an anderen Tagen eine Prinzessin"

Um mal zu den Perücken zu kommen – hast du dich mit ihnen verstellt oder hat jede eine andere Facette von deiner Persönlichkeit zum Vorschein gebracht?

Man hat nicht neun verschiedene Persönlichkeiten, aber ich denke, dass jede Frau sich damit identifizieren kann, dass sie verschiedene Facetten in sich hat, manchmal ist man eben mehr eine Frau, manchmal will man mehr ein Mädchen sein und an anderen Tagen eine Prinzessin. Davon haben wir vielleicht so vier bis fünf Gesichter in uns, mithilfe meiner Perücken konnte ich die Facetten wirklich aufbauen und erleben. Auch im Angesicht des Todes fand ich es mit den Perücken einfacher, dann gab es keine Fragen oder Unsicherheiten von anderen Leuten. Mit den Perücken konnte ich in dem Moment so leben wie ich wollte.

Hattest du eine Lieblingsperücke?

Das ist wirklich schwierig zu sagen, weil ich alle diese Facetten mochte. Die größte Verwandlung hatte ich mit Sue (selbstbewusster, kürzerer Rotschopf, weiß was sie will, sehr ausdrucksstark) und Oema (lange dunkelrote Haare mit Pony, feiert gerne) weil ich mich plötzlich traute mit ihnen eine Femme fatale zu sein. Von Natur aus hätte ich mich das nicht getraut.

Hat die Krankheit deinen Lebenswillen bestärkt oder die Lust aufs Leben größer gemacht?

Davon hatte ich schon immer viel, aber es wurde bestimmt bestärkt. Bevor ich erkrankte, hatte ich schon sehr viel erlebt, in dem Moment als der Arzt sagte, du stirbst vielleicht, dachte ich: Ha! Gut, dass ich immer alles gemacht habe, was ich machen wollte. Ich bin nach Tibet gereist, habe viel gesehen, viel gefeiert und mich nie gefragt, hätte ich das besser nicht machen sollen? Ich habe immer die schönsten Männer aus der Klasse nach einem Date gefragt und habe nichts bereut. Das ist meine Lebenseinstellung, die der Krebs sicher noch verstärkt hat.

Lebst du heute noch mit einer Angst, dass der Krebs nochmal wiederkommen könnte?

Ich bin heute schon fast sieben Jahre röntgenologisch frei. Die Chance nochmal an Krebs zu erkranken wird immer weniger. Aber ja, es ist für mich eine Realität, dass ich wieder erkranken könnte. Vielleicht an einem anderen Krebs, aber meine Einstellung ist auch, dass ich es wieder schaffen würde.

Und glaubst du, du kannst anderen Leuten mit deiner Geschichte Mut machen?

Ja, das ist ein sehr schöner Teil. Anfangs war es komisch für mich auf der Bühne zu stehen, weil mir noch nicht bewusst war, was ich für andere Leute bedeuten könnte. Aber jetzt verstehe ich, dass meine Geschichte Hoffnung gibt und Mut machen kann.

HEUTE BIN ICH BLOND

Kinostart: 28. März 2013
Regie: Marc Rothemund
mit Lisa Tomaschewsky, Karoline Teska, David Rott, Peter Pranger, Maike Bollow u.a.